Konzert:Ein halbes Jahrhundert Rock

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Eine Frage der Coolness: Mitch Ryder ist seit mehr als fünf Jahrzehnten unterwegs im Dienste des Rock - wer schafft das schon? (Foto: Versicherungskammer Kulturstiftung)

Der amerikanische Sänger Mitch Ryder kommt ins Kunstfoyer

Von Dirk Wagner, München

Neben Eric Burdons Kooperation mit der US-amerikanischen Band War ist Mitch Ryders 1969er Album mit The Detroit-Memphis Experiment der wohl "schwärzeste" Sound, der einem weißen Musiker je gelungen ist. Mit einer spannenden Mischung aus Soul und Rock'n'Roll schaffte der in Detroit aufgewachsenen Sänger schon Mitte der Sechzigerjahre den Senkrechtstart. Der Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards soll ihn damals als einen der aufregendsten Sänger ausgelobt haben. Und die Soul-Legende James Brown feierte ihn gar als besten weißen R&B-Sänger. Als aber sein 1971er Album "Detroit" mit der gleichnamigen Supergroup floppte, zog Ryder sich für Jahre aus dem Musikgeschäft zurück. Erst 1979 brach er sein Schweigen mit dem Album "How I Spent My Vacation".

Für den Neustart besuchte er gleich eine der erfolgreichsten Konzertreihen in Europa, die vom WDR live im Fernsehen und Radio übertragene fünfte Rockpalast-Nacht in der Essener Grugahalle. Nils Lofgren, der spätere Gitarrist in Bruce Springsteens Band, hatte gerade bewiesen, dass er während des Gitarrenspiels auch noch Saltos springen kann. Als der Moderator Alan Bangs nun Ryder in der Umbaupause interviewte, hatte der bereits eine halbe Flasche Whiskey intus und wirkte in der Folge nicht mehr besonders kommunikationsfreundlich. Zumindest vermied er es, auf die Fragen von Bangs zu antworten. Ja, er drehte sich sogar während des live übertragenen Interviews weg. Als Bangs ihn wieder zurück ins Bild zog, fragte Ryder ihn, ob er schon mal gesehen habe, wie zwei Hunde es auf der Straße trieben. Die Redaktion spielte sogleich einen Live-Mitschnitt der Band Dire Straits zu.

Als Mitch Ryder danach die Bühne in der Grugahalle betritt und noch vor der vereinbarten Ansage des Moderators Christian Wagner das Publikum auf Englisch nach dessen Wohlbefinden fragt, schweigt dieses beinahe protestierend. "Sprecken Sie Inglisch?", fragt Ryder darum auf Deutsch. Das Publikum scheint angewidert zu sein von Ryders Trunkenheit. Mit seinem Nicht-Interview in der Umbaupause hatte er sich keine Freunde gemacht. Und auch mit der Band soll er sich zwischenzeitlich gezofft haben. Irgendwer soll im Umkleideraum sogar eine Gitarre nach ihm geworfen haben. Und jetzt steht er hinter dem Mikrofon, der einsamste Mensch der Welt. Eine Zigarette in der einen Hand, eine Getränkedose in der anderen. Was er dann vollführt, ist keine Rock-Show mehr. Es ist die Menschwerdung der Rockmusik. Eine, von der Alan Bangs später einmal behauptet, dass sie vielen Menschen zu weit ging. Er habe sich vor einem Millionenpublikum im Fernsehen lächerlich gemacht, hätten einige gesagt. Doch Bangs kontert: "Ich glaube, sie haben etwas verpasst."

Dabei wurde das sogenannte "Full Moon Concert" danach sogar als Bootleg, ein ohne Genehmigung auf Schallplatte veröffentlichter Mitschnitt, gefeiert. Und das, obwohl zwei Höhepunkte des Konzerts auf dem Album fehlten: der merkwürdige Einstieg mit "Long Hard Road" und das lässig gespielte Doors-Cover "Soul Kitchen" zum Konzertende. Und ja, man konnte sich angesichts dieses intensiven Konzerts, das vergangenes Jahr in einem CD-DVD-Paket wiederveröffentlicht wurde, vorstellen, dass der Doors-Sänger Jim Morrison selbst hier aus seinem Grab gestiegen war, um seinen Bruder im Geiste zu beseelen.

Die großen Hallen hatte Ryder danach nie wieder gerockt. Aber in den Clubs, den authentischen Spielwiesen einer lebendigen Rockkultur, ist er noch immer ein Qualitätsgarant. Seit Jahren spielt er in Deutschland mit der in der DDR gegründeten Bluesrock-Band Engerling. Mitte März erscheint ein weiteres gemeinsames Album.

Mitch Ryder , Sonntag, 10. März, 18 Uhr, Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung, Maximilianstraße 53 (das Konzert ist ausverkauft)

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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