Ob denn "die gräßliche Hurengeschichte" nicht bald aufhöre, fragte ein Mitinhaber der Vossischen Zeitung seinen Chefredakteur, der im Juli und August 1887 den neuen Roman seines Theaterkritikers abdruckte. Das Werk handelte von der Liebe zwischen einem Baron Botho und der Schneidermamsell Lene, der nur ein kurzer, zärtlicher Sommer beschieden ist. Dann folgt die Trennung, folgen standesgemäße Heiraten. Er nimmt die reiche Cousine, sie einen älteren Fabrikmeister. "Irrungen, Wirrungen" zählt heute zu den populären Werken Theodor Fontanes, bei Erscheinen erregte die "Berliner Alltagsgeschichte" Anstoß.
Höhe- und Wendepunkt des Romans ist ein gemeinsamer Ausflug ins Grüne, die Landpartie zum Gasthaus "Hankels Ablage", südlich der Stadt. In Kapitel zwölf wird es Nacht, Ruhe kehrt ein, Botho kommt zu ihr aufs Zimmer: "Und sie schmiegte sich an ihn und blickte, während sie die Augen schloß, mit einem Ausdruck höchsten Glückes zu ihm auf."
Mit diesem Satz schloss der Abdruck auf der dritten Seite der ehrwürdigen Vossischen Zeitung am Sonnabend, dem 6. August 1887. Berlin war damals eine Zeitungsstadt mit vielen auflagenstarken Blättern. In einem davon, dem Berliner Börsen-Courier, hatte man die Konkurrenz aufmerksam gelesen und spießte am 9. August Fontanes Kapitelschluss auf. Ein Trost sei es für kleinere Lichter der Tagesliteratur, dass auch Dichtern von Rang derlei Fehler unterliefen: "Hatte nicht auch Fontane sein geistig Auge geschlossen, als er diesen glückstrahlenden Blick eines geschlossenen Auges sah? Nun, zuweilen schlief ja auch der gute Vater Homer!" Die Anspielung bezieht sich auf Horaz, der in der "Ars poetica" meinte, auch der gute Homer schlafe zuweilen. Hatte Fontane, der oft betonte, wie sorgsam er korrigiere und feile, ausgerechnet beim Schlusssatz des so wichtigen zwölften Kapitels gepennt?
Wolfgang Rasch stellt die kleine Zeitungskontroverse in einem Aufsatz dar. ( Homer schläft! Der "Berliner Börsen-Courier" moniert einen Passus in "Irrungen, Wirrungen". In: Fontane-Blätter 105/ 2018) Nachdem Die Post den Spott über Fontane nachgedruckt hatte, sprang die Vossische Zeitung dem Dichter mit einem subtilen Hinweis bei. Wenn Fontanes Interpreten endlich erwachten, würde ihnen das Entscheidende schon auffallen: "der Unterschied des Imperfektum, d.h. der unvollendeten Handlung des Augenschließens, vom Perfektum, d.h. der vollendeten Handlung des Augenschließens". Wenig später meldete sich der Autor und erklärte unter Verzicht auf "grammatikalische Feinheiten", "daß man einen zärtlich geliebten Menschen mit geschlossenem Auge nicht nur anblicken kann, sondern daß das geschlossene Auge den Ausdruck oder was dasselbe sagen will den Blick der Zärtlichkeit steigert. Das anzudeuten war mein Zweck." Dennoch wurde der Satz 1890 neben anderen Stilblüten in ein "Album unfreiwilliger Komik" aufgenommen.
Der eigentliche Skandal freilich ereignet sich zwischen dem monierten Satz und dem darauf folgenden. Am Ende des zwölften Kapitels schmiegt sich Lene, wie zitiert, an Botho. Das 13. Kapitel beginnt: "Beide waren früh auf ..." Fontane wusste schon sehr genau, was er tat.