Kommentar:Wahlkampf mit der weißen Frau

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Die AfD druckt Wahlplakate mit historischen Gemälden. Sie hat nicht mit dem Eigenleben der Kunst gerechnet.

Von Jörg Häntzschel

Als Thor Kunkel, der Schriftsteller und Berater der AfD, über die Europakampagne der Partei nachdachte, stieß er auf ein Dilemma: "Unbequeme Wahrheiten", "Tatsachen" könne sie auf ihren Plakatmotiven nicht zeigen, ohne sich den Vorwurf des Rassismus einzuhandeln, schrieb er in einer Mail an den Berliner Landesverband, aus der der Spiegel zitiert. Er schlug also einen Trick vor: Statt die Parolen mit nachgestellten Fotos, etwa von der Kölner Silvesternacht, zu illustrieren, ergoogelte er historische Gemälde, die ähnliche Sachverhalte zeigten, nur eben in künstlerischer Form.

Ganz oben auf seiner Liste stand das Bild "Der Sklavenmarkt", das Jean-Léon Gérôme 1866 gemalt hat und das überall in Berlin plakatiert ist. Es zeigt eine nackte weiße Frau umringt von finster dreinblickenden Arabern. Einer von ihnen scheint mit seinen Fingern die Zähne der Frau zu prüfen. "Damit aus Europa kein ,Eurabien' wird!", steht darüber. Das Bild ist eines von mehreren Motiven einer ganzen Serie. Die AfD nennt sie: "Aus Europas Geschichte lernen."

Kunkel versprach seinem Kunden einen doppelten Gewinn. "Rechtskonservative Kreise und Gegner des Gutmenschentums" würden die "elegante Provokation" begreifen. Der "zu erwartende Aufschrei" der Presse hingegen, werde nicht die AfD treffen, sondern die Museen, die solche Bilder noch immer ausstellten.

Was Kunkel nicht erwähnte ist das eigentliche Dilemma der AfD: Wie lassen sich ihre Parolen der letzten Wahlkämpfe noch übertreffen? Die Antwort: Statt noch grellere Bilder einer angeblichen Krise zu erfinden, behauptet man, diese Krise habe einen jahrhundertealten Vorlauf. Und ein weiterer Effekt der Altmeister-Idee: Die Gemälde verleihen dem Wahlkampf der Partei einen Anflug von Respektabilität, so wie Genremalerei auf Pralinenschachteln die Schokolade auch eine Spur besser schmecken lässt.

Arcimboldos Obstmonster, Bruegels früher Wolkenkratzer: Abschreckend oder faszinierend?

Was die AfD und Thor Kunkel aber ganz offensichtlich nicht bedacht hatten, ist das Eigenleben und die eigene Wirkung dieser Gemälde, die sich den Propagandazwecken eines AfD-Wahlkampfs nicht einfach unterordnet. Arcimboldos Obst- und Efeumonster sind so bizarr, dass der lahme Slogan "Lieber Diesel als grüne Spinnereien" untergeht. Auch der Spruch "Damit Brüssel nicht zu Babylon wird", würde besser wirken, sähe man nicht Bruegels großartigen, trotz Schlagseite eher faszinierenden als angsteinflößenden frühen Wolkenkratzer dazu.

Anders verhält es sich bei der "Enthauptung von Johannes, dem Täufer" von Bonifazi Anton Angelo. Diese Szene ist schockierend genug. Doch dann titelte die AfD "Kopfabschneider an EU-Grenzen stoppen!". Man kann kaum anders, als die Aggressivität dieses herbeifantasierten Begriffs mit der Aggressivität des "Kopfabschneiders" im Bild selbst zu assoziieren.

Vollends missglückt ist die AfD-Kunstgeschichte aber bei jenem "Sklavenmarkt"-Plakat, das Kunkel als besonders "impact-stark" empfohlen hatte. Muslime erniedrigen und versklaven europäische Frauen, ist die Botschaft des Bilds. In einer anderen, offenbar nicht plakatierten Version, schreibt die AfD darüber: "Silvesternacht, Köln, 2015/16."

Doch Gérôme war nicht etwa, wie die AfD vorgibt, Dokumentarist von schlimmem Missbrauch, er hat die Lüsternheit seiner Kunden bedient, wie Saskia Trebing in der Zeitschrift Monopol dargelegt hat. Die Szene hat mit "Europas Geschichte" nichts zu tun, das orientalische Setting dient nur als Vorwand, den nackten Körper der Frau zu zeigen. Die AfD fügt diesem Kalkül ein weiteres hinzu, aber das Spekulieren auf Voyeurismus läuft weiter mit. Man hört sie förmlich, die Verteidiger der weißen Frau von der AfD, wie sie "echter Hingucker" sagen.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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