Kommentar:Rache des Analogen

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Andrian Kreye liest gerade Jaron Laniers „Zehn Gründe, warum du deine Social-Media-Accounts sofort löschen musst“. (Foto: N/A)

Im vergangenen Jahr wurden durch CDs und Schallplatten erstmals seit 2011 wieder mehr Umsätze generiert als durch digitale Downloads. Aber kann man aus diesen Zahlen wirklich etwas ablesen über unser Verhältnis zur digitalen Welt?

Von Andrian Kreye

Neulich kam aus einer der engsten aller Filterblasen (dem E-Mail-Eingang) eine Nachricht mit dem schönen Betreff "the revenge of the analog". In einer Woche, in der man sich einerseits überlegt, wie man sein Facebook-Konto sauber löscht, was gar nicht so einfach und nicht nur mit dem Löschvorgang selbst getan ist; in der man zum anderen aber auch in vorauseilender Feigheit vor dem Feind darüber nachdenkt, ob eine anstehende USA-Reise mit einem frisch gelöschten Facebook-Konto Ärger beim Grenzübertritt bringt, in so einer Woche findet man eine "Rache des Analogen" jedenfalls sehr verlockend.

Die Mail führte mit einem Link zum Artikel einer Zeitung aus San Francisco. Sie meldete, dass in den USA CDs und Vinylplatten erstmals seit 2011 wieder mehr Umsatz generierten als digitale Downloads. Das ist natürlich eine großartige Nachricht, weil Steve Jobs und Jeff Bezos mit herunterladbarer Musik vor allem dafür gesorgt hatten, dass sie selbst sehr viel und Musiker sehr wenig verdienen.

Man muss das zwar relativieren, weil die Musikumsätze im vergangenen Jahr insgesamt trotzdem um sechs Prozent sanken. Die Welt entwickelt sich ja auch auf einem so nostalgischen Feld wie der Musik nicht rückwärts. Es stimmt also zwar, dass die Leute wieder mehr Platten und weniger Dateien kaufen. Sie kaufen aber insgesamt weniger, weil ihnen noch gewitztere Geschäftsleute die gesamte Musikgeschichte im Streaming-Abo zum Ramschpreis liefern. Und die Musiker deshalb noch weniger bekommen.

Einziger Lichtblick sind die Zuwachsraten bei den Vinylplatten, die zehn Prozent zulegten. Woraufhin man als Angestellter eines weiterhin vornehmlich analogen Verlagshauses etwas weltfremd davon träumt, dass all die Menschen, die derzeit wohl in Scharen aus sozialen Medien aussteigen, bald nicht mehr wissen, wohin mit ihrer freien Zeit. Und dann entdecken, dass es befriedigender ist, Schallplatten statt Dateien zu hören und eine Zeitung statt einer Timeline zu lesen.

Solche Wunschträume scheinen um sich zu greifen. Farhad Manjoo, der Technologie-Kolumnist der New York Times, machte Anfang März viel Wind darum, dass er gerade zwei Monate lang keine sozialen Medien und nur gedruckte Zeitungen gelesen habe und was für ein dickes Plus an Lebens-, Lese- und überhaupt Qualität das sei. Wobei der Ausstieg aus den sozialen Medien ja nicht gleich in einer analogen Konterrevolution enden muss. Was den sozialen Medien und der Werbeindustrie gerade richtig zu schaffen macht, ist sowieso "Dark Social", über das zunehmend Links und Posts verschickt werden. Das ist weder so finster noch so rätselhaft, wie es klingt. Damit sind E-Mails und Chatprogramme gemeint, also der direkte Kontakt. Der aber ist für Digitalfirmen und Werbeindustrie derzeit kaum mess- und erfassbar. Das wäre dann die Rache des Menschen am System. Ist man gern dabei. Und mit "Dark Social" begann ja auch dieser Text.

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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