Kommentar:Männerfeindliche Fantasie

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"Fifty Shades of Grey"-Autorin E.L. James hat ein neues Buch aus der Sicht von Christian Grey geschrieben - diese Innenansicht ist nicht erotisch.

Von Susan Vahabzadeh

Eine Figur macht noch kein Stereotyp; aber die Bücher der "Fifty Shades of Grey"-Autorin E. L. James, ursprünglich mal Fan-Fiction zur "Twilight"-Buchreihe, haben sich weltweit 125 Millionen mal verkauft, den neuesten Band noch gar nicht mitgerechnet. Deshalb ist es nicht ganz abwegig, ihnen gesellschaftlicher Relevanz zu unterstellen. Nun ist also ein vierter Band im Handel, "Grey", in dem die ganze Story noch einmal erzählt wird, diesmal aus einem anderen Blickwinkel, der Perspektive des Mannes, Christian Grey, in der ersten Person. So eine Art Meta-Fan-Fiction sozusagen, von der Autorin selbst.

Eigentlich passiert in diesem Buch nichts, was nicht vorher schon klar war; denn es passiert ja genau dasselbe. Und Christian Grey bleibt auch derselbe milliardenschwere, helikopterfliegende Sado-Maso-Besessene mit einem schweren Kindheitstrauma. Er wird nun durch den Blick in seine Gedanken keineswegs interessanter - aber er gewinnt an Details. Und wird irgendwie gruselig. Mal im Ernst: Wenn ein männlicher Autor eine weibliche Figur so irre, dämlich und doch begehrenswert porträtieren würde wie E. L. James Christian Grey, und Millionen von Männern würden diese Figur zu ihrer fiktionalen Traumfrau erklären - dann würde ihnen jede Feministin, die etwas auf sich hält, ihre Lieblingsbücher um die Ohren hauen, die ganzen 125 Millionen Stück.

Dem Anwurf, "Fifty Shades of Grey" sei langweilig und miserabel geschrieben, schleuderten Fans der Reihe gern entgegen, im Kern sei die Story um Anastasia Steele und Christian Grey einfach nur eine total romantische Liebesgeschichte, mit ein paar Sado-Maso-Sex-Szenen. Das Argument ist jetzt vom Tisch: Emotionsloser und verhaltensgestörter als das Inner von Christian Grey ist höchstens noch das von Norman Bates aus "Psycho", der wenigstens seine Mutter geliebt hat. Grey ist jede menschliche Regung fremd, die sich nicht auf ihn selbst bezieht - wenn er an Anastasia denkt, dann entweder innerhalb einer erotischen Fantasie oder im Rahmen einer behandlungsbedürftigen Kontrollsucht. Ihr Handy orten? Privatdetektiv beauftragen, um jedes Detail ihres Vorlebens auszuforschen? Eifersuchtsanfall kriegen, sobald sie mit einem anderen Mann redet? Beste Freundin hassen? Alles im Angebot, und zwar schon vor dem ersten Date.

Was James in den Gedanken ihres Traumprinzen entdeckt, ist von erschreckender Schlichtheit. Gelegentlich denkt er kurz über seine Firma nach (von der man aber noch immer nicht genau weiß, was für eine Art von Firma das eigentlich ist). Darüber hinaus kann sein Hirn aber offensichtlich nur ein sehr begrenztes Spektrum von Themen bewältigen: Sex, Essen, Angst, Macht - der Primat unter den erotischen Helden.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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