Kommentar:Dylan schweigt

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(Foto: N/A)

Zu gern hätte man gewusst, was Bob Dylan dazu sagt, dass man ihm den Literaturnobelpreis verliehen hat. In der Nacht nach der Preisverkündung gab Dylan ein Konzert in Las Vegas. Hat der Sänger seine Meinung zum Preis in der Setliste versteckt?

Von Andrian Kreye

Wie findet das Bob Dylan denn nun, dass er den Literaturnobelpreis bekommen soll? In der Nacht nach der Preisverkündung betrat er in Las Vegas die Bühne des Cosmopolitan Hotels und spielte ein Konzert mit vorwiegend alten Songs, ohne den Preis auch nur mit einem Wort zu erwähnen.

Man könnte sich nun mit philologischem Scharfsinn über die Setliste beugen, ob sich da nicht doch eine Botschaft findet. Dylan begann den Abend mit "Rainy Day Women #12 & 35". Da heißt es in der Anfangszeile: "Well, they'll stone you when you're trying to be so good" ( sie werden dich steinigen, wenn du so gut sein willst). Es folgte "Don't Think Twice, It's All Right" (denk nicht mal drüber nach, es ist alles in Ordnung). Das könnte ein deutlicher Kommentar gewesen sein, aber es gibt natürlich auch Leute, die Jesus in der Kruste eines Toastbrotes erkennen. Sein letztes Konzert in der vergangenen Woche hatte er nämlich auch schon mit diesen beiden Stücken begonnen. Sich einfach nicht in den Streit einzumischen, den die Preisverkündung ja doch ausgelöst hat, wäre sowieso viel dylanesker. Es war ihm schon in den Sechzigerjahren lästig, dass er als Stimme seiner Generation dauernd für irgendetwas stehen sollte.

Die Reaktionen der twitternden Literaturweltöffentlichkeit waren aber durchaus heftig, was auch eine Bestätigung seiner Wirkung ist. Da brachen wirklich noch einmal Gräben zwischen Generationen auf. So jubelte Salman Rushdie (Jahrgang '47) Dylan ('41) sei der brillante Erbe von Orpheus und Faiz, die Schriftstellerin Lynne Tillman ('47) bezeichnete ihn als "Stimme mit dem Atem der Geschichte". Dagegen befand der schottische "Trainspotting"-Autor Irvine Welsh (Jahrgang '57), das sei die nostalgische Entscheidung sabbernder Hippies, und Gary Shteyngart ('74) bemerkte ironisch, er verstehe die Nobel-Jury sehr gut, es sei schon sehr anstrengend, Bücher zu lesen. Nun werden weder pointierte Kurznachrichten noch sein eigenes Schweigen etwas daran ändern, dass Dylan natürlich immer für etwas stand, und sei es nur für die Tiefe und Wucht der amerikanischen Musik. Man möchte das ja auch gerne als offizielles Ende jener Kultur-Apartheid verstehen, die der Philosoph Theodor Adorno definierte, als er in seinen Brandreden gegen den Pop dezidiert Dylan und Joan Baez meinte.

Auf der anderen Seite ist der Nobelpreis auch nicht der Mount Rushmore der Literatur, in den der Kanon für die Ewigkeit gemeißelt wird. Es ist ein Preis der Gegenwart, der einmal im Jahr verliehen wird. Und ganz ähnlich, wie der Nobelpreis für die Journalistin Swetlana Alexijewitsch im vergangenen Jahr eine Botschaft an Putin war, ist Dylans Preis ein Signal nach Amerika. Ob er dafür stehen will oder nicht.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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