Klassische Musik:Walter Levin ist tot

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Der Violinist und Gründer des "LaSalle Quartets" prägte die Kultur des Streichquartetts und führte sie zu einer neuen Blüte. Er starb mit 92 Jahren in Chicago.

Von Wolfgang Schreiber

Vielleicht war es die Sternstunde seines Lebens - für den Primarius Walter Levin, als er mit seinem LaSalle Quartet 1980 in Bonn das Hölderlin-Streichquartett "Fragmente - Stille. An Diotima" des venezianischen Komponisten Luigi Nono aus der Taufe hob. Nono selbst sprach zu dem mit allen Intonationskünsten nahe dem Schweigen angesiedelten Stück leise eindringliche Worte. Levin dürfte sich bestätigt gefühlt haben in seiner lebenslangen Neigung zum Sprechen über Musik, zum Unterrichten.

Ein Jahrhundertkopf der Formation Streichquartett, Kopf und Geist der haarigsten musikalischen Moderne war Walter Levin. Sein Können, sein Wissen und sein Ruhm trugen den Namen dieses legendären Viererteams der Klassikmusik: LaSalle Quartet. Als 25-jähriger hatte der 1924 in Berlin geborene Levin das Ensemble gegründet, das bis in die Achtzigerjahre mit Konzerten und Plattenaufnahmen die Musikwelt durch Intelligenz und höchstes Klangraffinement in Atem hielt.

Die avancierteste Quartettmusik des frühen 20. Jahrhunderts war damals noch wenig bekannt - die Quartette des Wiener Komponisten Arnold Schönberg und seiner Schüler Alban Berg und Anton Webern. Die "LaSalle's" mit Primgeiger Walter Levin brachten 1971 Abhilfe, die dicke Plattenkassette "Zweite Wiener Schule" schlug mit ihrer völligen musikalischen Durchhörbarkeit die Klassikhörer weltweit in Bann. Klangscharfsinn und Repertoirekühnheit bestimmten Weg und Rang des Ensembles, das die logistischen Notenprobleme der Quartette von Penderecki und Ligeti, von Cage, Kagel oder Lutoslawski mit Hellsicht bewältigte und auch die halsbrecherischen Schönheiten der Werke von Haydn, Mozart, Beethoven oder Schubert ans Licht holte.

Der Lebensweg Walter Levins begann abenteuerlich genug. Als 14-jähriger emigrierte er mit seiner Familie aus Nazi-Deutschland nach Palästina, studierte in Tel Aviv, danach in New York City an der Juilliard School of Music und gründete dort mit Studienkollegen das Streichquartett. Jahrelang unterrichtete er an der University of Cincinnati Geige und Kammermusik, veranstaltete, bis an sein Lebensende, Gesprächskonzerte, gab Kurse in Paris, Madrid und Basel, wo er seinen Wohnsitz hatte. Das Alban-Berg- und das Artemis-Quartett und manche Kammermusiker sind ohne Walter Levins Leh-re und Anregung kaum denkbar.

Im dem 400-Seiten-Gesprächsbuch von Robert Spruytenburg (2011, edition text + kritik) erklärt Levin mit intellektueller Leidenschaft sein Musikleben, die Kunst des Quartettspiels mit all dessen Komponisten sowie das "Neue Hören". Darin abgedruckt der Vortrag "Wie man ein Stück wählt" samt zehn widerständigen Geboten dazu, deren verstörend erstes lautet: "Ist es schön - sollte man es vermeiden". Jetzt ist Walter Levin im Alter von 92 in Chicago gestorben.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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