Es ist ein Bildausschnitt, der sich selbst negieren möchte. Die Halbtotale vom Musiker am Flügel im Profil zeigt: Hier geht es nicht ums Bild, hier geht es um die Musik. Keine Schnitte, keine Perspektivwechsel oder sonstige Gestaltungen sollen davon ablenken. Der Live-Stream des ARD-Musikwettbewerbs ist auf gute Weise teilnahmslos. Es gibt eine einzige Kamera, deren Höhepunkt der Einmischung in zaghaften Zooms auf die Finger des Kandidaten besteht.
Schon länger werden die Finale und Semifinale per Stream ins Netz übertragen, in diesem Jahr kann man erstmals auch den zweiten Durchgang im Fach Klavier von jedem beliebigen Ort aus verfolgen. Das ist insofern praktisch, als die zweite Runde im Fach Klavier zeittechnisch gesehen ein ganzes Wochenende in Anspruch nimmt. Wer da nicht von morgens bis abends im BR-Studio sein kann, der kann den Wettbewerb nun trotzdem verfolgen. Auf dem Telefon oder am Computer, im Zug oder im Auto, etwa wenn Kazuya Saito am Samstagvormittag als zweiter der 16 Kandidaten antritt, die je eine knappe Stunde spielen. Und selbst durch das Medium vermittelt sich das Facettenreichtum im Spiel des Japaners, der es dann auch ins Semifinale schafft.
Dort dann im Konzertsaal der Musikhochschule schwächelt Saito jedoch. Mozarts Klavierkonzert KV 488 klingt bei ihm weniger perlend und leichtfüßig als etwa in der Interpretation des Südkoreaners Honggi Kim. Der langsame Satz ist weniger tiefgreifend, auch wenn Saito eine sehr schöne gemeinsame Energie mit dem Münchener Kammerorchester etabliert. Fürs Finale hat es bei beiden nicht gereicht.
Die Entscheidung ist in diesem Semifinale keine einfache. Die sechs Musiker spielen alle auf einem ähnlich hohen Niveau. Doch nur selten erhebt sich das Spiel bei einzelnen darüber hinaus, nur selten werden neue Perspektiven auf Mozarts Klavierkonzerte geboten, die hier alle zu absolvieren hatten. Im Saal der Musikhochschule klingt das in diesem Wettbewerb immer zu lobende Münchener Kammerorchester auch fast ein bisschen laut, die Kandidaten müssen viel geben, um darüber zu spielen und darauf noch klangliche und interpretatorische Variationen zu schaffen.
Bei Fabian Müller wirkt das bisweilen ein bisschen verkopft und etwas hölzern. Trotzdem ist er der einzige, der nach Klängen und Vorschlägen abseits des perlenden Schönklangs sucht. Das bewies er, der bei Pierre-Laurent Aimard in Köln studierte und auch deshalb wohl einen sehr lässigen Zugang zur Moderne hat, schon im zweiten Durchgang, als er Bartóks "Im Freien" voll düster donnerndem Bass, ratschenden Arpeggien und rhythmisch präzisem Groove spielte. In Mozarts Klavierkonzert KV 414 holt er dann Klangdetails in sein Spiel, die überraschen und Perspektiven eröffnen, die über die bloße schöne Wiedergabe dieser Musik hinausgehen. Dass er das Auftragswerk, Pascal Dusapins "Did it again", als Chance begreift, die recht genauen Vortragsangaben des Komponisten mit dieser Klangforscher-Manier umzusetzen, ist wunderbar.
Brillanter klang das Auftragswerk nur noch bei Wataru Hisasue. Als einziger spielt er auswendig. Rasend schnell lässt er das Stück, das Schlaflied-Passagen mit schreienden Dissonanzen und groovenden Basslines kontrastiert, fließen und phrasiert mitnehmend und spaßvoll. Allein deshalb ist sein Einzug ins Finale schon verdient. Doch auch in Mozarts Klavierkonzert KV 414 geht er einen feinen Mittelweg zwischen Leichtigkeit, die aber nicht belanglos wird, und Bedrohlichkeit, die nicht in Aggression kippt.
Im zweiten Durchgang sind die Bewertung und das Spiel noch weit differenter als im Semifinale. Der Werkkatalog, aus dem die Kandidaten hier auswählen, ist breiter. Das Programm, das sie daraus zusammenstellen, vermittelt einen nicht unerheblichen Teil des Gesamteindrucks; auch, wenn man übers Internet zuhört: ein gut gemischter, klarer Klang, aber natürlich ohne die Wucht, die Musik live hat, weil sie einen im Konzertsaal nun mal umhüllt, weil man da mit seinem gesamten Körper im Klang sitzt. Vielleicht fallen einem dann im Stream doch andere Details auf als live.
Denn im Stream etwa ist Elisabeth Brauß ungemein überzeugend. Ihr harter klarer Anschlag, mit dem sie Beethovens Sonate Nr. 7 beginnt, und das zarte Piano, das sie in der Durchführung folgen lässt, erklingen über die Kopfhörer detailreich und hinreißend. Eine bedachte Interpretation, die trotzdem eine gewisse Vehemenz hat. Sehr schön. Und verwunderlich, dass sie es nicht ins Semifinale schaffte. Anders als Jeung Beum Sohn, der der dritte Finalist ist (Freitag, 18 Uhr, Herkulessaal). Die Jury belohnt damit den technisch brillantesten Kandidaten und dessen ungemein weichen und geläufigen Anschlag bei Mozart. Das Auftragswerk allerdings gerät ihm allzu romantisierend und manieriert.