Klassik:Im Reich der Sonnenkönige

Lesezeit: 4 min

Opernintendanten müssen heute zugleich die Kunstform der Oper modernisieren und das konservative Publikum bei Laune halten. Wie kann das gehen?

Von Reinhard J. Brembeck

Am heutigen Freitag wird die Mailänder Scala den Namen ihres neuen Intendanten verkünden, der bereits in einem Dreivierteljahr das Haus übernehmen soll. Derzeit ist noch Alexander Pereira Intendant, er wäre es gern länger geblieben. Der jetzt 71-Jährige war jahrelang der Chef der Zürcher Oper, dann kurz der Salzburger Festspiele und ist seit 2014 der Leiter des berühmtesten Opernhauses der Welt.

Pereira ist die schillerndste Gestalt unter den Opernintendanten, er ist ein Impresario alten Schlags, der sich zunehmend als unfehlbarer Sonnenkönig im Reich der Oper gerierte. Als ein leidenschaftlicher Liebhaber großer Sänger und gemäßigter Inszenierungen fand er immer Wege, seine zunehmend maßlosen Pläne zu finanzieren. Das ging im vom Geld regierten Zürich gut, wurde im durch Gerard Mortier wieder auf die Kunst und gegen den Glamour aufgestellten Salzburg zum Problem und begründet seine Nichtverlängerung im opernkonservativen Mailand. Schon in seiner ersten Spielzeit eckte Pereira an, weil er von ihm in Salzburg herausgebrachte Opern aufkaufte, zuletzt scheiterte er mit seinem Plan, die Saudis, bekannt als Frauen-, Juden- und Menschrechtsverächter, als Sponsoren in die Scala einzubinden.

Viele Operninsider setzen darauf, dass Pereira von Dominique Meyer beerbt wird, dem farb- und glücklosen Wiener Opernintendanten. Meyer ist also das krasse Gegenteil zu Pereira. Aber er besitzt eine in diesem Metier wichtige Tugend: Er hat es zehn Jahre lang geschafft, in der Wiener Opernraubtierarena zu überleben, ohne von dem übermächtigen Orchester (das sich privat als Wiener Philharmoniker ein Zubrot verdient), dem konservativen Stammpublikum und den Politikern (in Wien muss man Opernliebhaber sein, um etwas zu werden) zerfetzt zu werden. Respekt. Dass in seiner Ägide Musikchef Franz Welser-Möst hinschmiss und dass die künstlerische Ausbeute, von den Sängerstars und dem vergötterten Christian Thielemann abgesehen, mau ist, störte vor allem die Musikkritik.

Pereira wie Meyer bedienen beide in erster Linie die konservative Opernklientel, die liebend gern Sängerinnen und Sänger verehrt, aber mit eigenwilligen Regisseuren ein Problem hat. Das ist von daher verständlich, weil Opernkarten sehr teuer sind und niemand gern viel Geld für Experimente rauswirft. In den letzten Jahren aber wird diese Intendantenpolitik der großen und das heißt der besonders teuren Opernhäuser zum Problem. Denn wer vorwiegend nur die eine Klientel im Blick hat, schließt Operninteressierte mit anderen Vorlieben aus. Vor diesem Problem stehen alle Intendanten der großen Häuser: Peter Gelb an der New Yorker Met, der erst kürzlich ernannte Oliver Mears am Royal Opera House in London, Nikolaus Bachler in München, Carlo Fuortes in Rom, Matthias Schulz in Berlin, Stéphane Lissner in Paris. Als Faustregel gilt: Je mehr Geld und Glamour im Spiel ist, umso schwieriger ist es, Oper auf der Höhe der Zeit zu machen. Um so stärker sind die Fliehkräfte in Richtung Kostümkulinarik mit großen Stimmen, der sich zu widersetzen, zumindest im Bereich der Regie, viel Nerven und Willensstärke bei den Intendanten voraussetzt. Bachler und Lissner versuchen das immer wieder und werden dementsprechend abgestraft. Zudem wird es gesellschaftlich immer weniger hingenommenen, dass all diese Spitzenhäuser von Männern geleitet werden. Nur an Barcelonas Traditionshaus Liceu ist eine Frau tätig, Christina Scheppelmann.

Der durch die Klientel ausgeübte finanzielle Druck verhindert es häufig, dass die vom Repertoire her auf die Vergangenheit geeichten Opernhäuser wieder zu Brutstätten des Neuen, Innovativen und gesellschaftlich wie künstlerisch Relevanten werden können. Opernhäuser kokettieren heute allenfalls mit dem Systemsprengenden und Bewusstseinserweiternden und Nichtkonformen, das aller großen Kunst eignet und das Opernaufführungen erst über die rein museale Aufbereitung der Stücke hinaushebt. Wenn Oper wieder an diese Kardinaltugenden der Kunst anknüpfen könnte, würde sich die Frage nach ihrer zunehmend in Zweifel gezogenen Relevanz genauso erübrigen wie die oft krampfhaften Anstrengungen, neue und besonders junge Besucher anzulocken.

Moderne Regie ist auffälliger als moderne Musik - deshalb wird sie auch häufiger kritisiert

Damit aber ist auch das Projekt umschrieben, das heutzutage für jeden Opernintendanten zentral sein sollte und das auch die Findungskommission sowie Politikerentscheidungen bei der Chefsuche bestimmen müsste. Es ist ein ziemlich neuartiges Projekt, das bis vor 20, 30 Jahren keine wirkliche Rolle im Intendantenalltag spielte, da Oper bis dahin noch ziemlich unhinterfragt als Ausdrucksform für das vorherrschende Menschen- und Weltbild erfahren wurde. Doch mittlerweile wird immer unübersehbarer, dass das in den Opern von Wolfgang Mozart bis Giacomo Puccini formulierte Welt- und Menschenbild immer weniger mit dem, das sich derzeit entwickelt, zu tun hat.

Frauen, Männer, Herrscher, Beherrschte und ihr Verhältnis zueinander, Liebe, Hass, Treue und Verrat: All das gab es damals und gibt es heute. Aber eine Frau von heute lebt ihr Frausein deutlich anders als eine Frau um 1780, 1811 oder 1920. Darum wissen alle Intendanten. Es gibt aber kein bereits erprobtes Rezept, wie sich das auf einer Bühne zeigen lässt. Dirigenten und Sänger haben es da leichter, sie vollziehen beständig die Anpassung ihrer Kunst ans Heute. Niemand kann mehr so wie Karajan und Solti dirigieren, niemand mehr so singen wie Callas und Caballé. Nicht aus technischen Gründen, sondern weil im Musizieren der Genannten ein veraltetes Gesellschaftsbild greifbar ist, das zunehmend weniger dem heutigen entspricht. Regisseure haben da größere Probleme. Ihr Modernisieren ist auffälliger als das der Musiker und steht deshalb auch vehementer in der Kritik.

Wenn Oper wieder zunehmend zu einer relevanten Kunst werden soll, muss ein Intendant die von Musikern wie Regisseuren betriebene Modernisierung fördern und moderieren. Es muss vor allem ein Gespür dafür haben, was im Moment künstlerisch und gesellschaftlich (Oper zielt immer aufs Politische) aktuell und brennend ist. Dann muss er erspüren, welche Künstler auf die von ihm analysierten Fragen künstlerisch überzeugende Antworten finden, und er muss möglichst vieler solcher Künstler in seinen Produktionen zusammenbringen. Im Vergleich zu diesen Tugenden zweitrangig, aber dennoch wichtig bleibt, dass er ausreichend Publikum für seine Visionen findet und Politiker wie Sponsoren davon überzeugen kann. Das Unternehmen gleicht einem Hindernislauf, bei dem häufige Stürze programmiert sind.

Pereira, Meyer, Bachler, Lissner, Fuortes sind alles verdiente Opernintendanten. Sie haben den sich vollziehenden Übergang im Opernmachen eingeleitet, ohne sich ganz von den überkommenen Gesellschaftsbildern trennen zu können. Jetzt allerdings ist eine neue Generation gefordert, die die neuen Bedürfnisse der Jetztzeit erkennt und in lebendige Oper umsetzen kann.

© SZ vom 28.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: