Klassik:Bizarre Maskenspiele

Lesezeit: 1 min

Gustav Mahlers siebte Symphonie endet mit einer C-Dur-Orgie. Dirigent Kirill Petrenko machte daraus im Nationaltheater in München jetzt die Tagtraum-Antwort auf die Nachtmusik zuvor. Einfach fabelhaft.

Von Harald Eggebrecht

Ein Trauerkondukt, der in giftigen Walzerschwung gerät, Janitscharenmusik, welche die Ohren betäubt, Tänze, die von Marschrhythmen durchkreuzt werden, aufbrausende C-Dur-Triumphräusche, die sich im finalen Rondo-Reigen immer schneller in groteske Übersteigerungen drehen, doch in den Mittelsätzen zuvor Schatten, Masken, Grimassen, Gespenster - Gustav Mahlers siebte Symphonie, 1904/05 entstanden, ist grandioses Instrumentaltheater der Klangvielfalt, einer so überraschenden wie überbordenden Koloristik, ein musikalisches Wechselbad aus bösem Witz bis hin zum sarkastischen Geräuschlärm, aus schaurigem Spuk, spürbarer Bedrohung bis hin zu gewolltem Auftrumpfen.

Um die Fülle dieses assoziationsreichen Kosmos ausschöpfen und in seinen vielgestaltigen Facetten darstellen zu können, braucht es Orchester und Dirigenten, die den enormen Anforderungen dieser fünf Sätze nicht nur technisch gewachsen sind, sondern die sie darüber hinaus in jene eindringliche Fantastik treiben können, die dieses Werk wahrlich zum Orgien- und Mysterientheater wilder Träume machen kann. Wie dieses Virtuosenstück für Riesenorchester zu Mahlers Lebzeiten geklungen haben mag? Otto Klemperer hat von 24 Proben vor der Prager Uraufführung gesprochen. Immerhin wohl so, dass Kritiker lobten, und Arnold Schönberg sich vor Mahler verbeugte: "Ich habe Sie wie einen Klassiker aufgenommen. Aber wie einen, der mir noch Vorbild ist."

Kirill Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester mit allen großartigen Solisten vom Konzertmeister bis zum Tenorhornisten glückte jetzt im Nationaltheater eine hinreißende, besonders in den drei nachtschwarzen Mittelsätzen im wahren Sinn des Wortes unheimliche Aufführung. Und das so oft als allzu ausgeschlachtete C-Dur-Beschwörung geschmähte Finale drehten Petrenko und die Seinen ins tageshell Skurrile und Komische, in den aufgeputschten Lärm und ironisch dröhnenden Spaß eines Jahrmarktes mit symphonischem Gelächter und Lange-Nase-Zeigen. Plötzlich wurde klar, dass dieses Rondo die Tagtraumantwort auf die Fährnisse und Abgründe der drei Nachttraumsätze davor sein kann - wenn man es so fabelhaft in Szene setzt wie Kirill Petrenko und sein Orchester. Ovationen!

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: