Klassik:Andris Nelsons

Lesezeit: 1 min

(Foto: AFP)

Von Helmut Mauró

Für Dirigenten wie Eugen Jochum, Günter Wand oder Sergiu Celibidache war er zentrales symphonisches Gestirn: der Linzer Organist Anton Bruckner, der sich lange Zeit um Anerkennung als Komponist mühte, schließlich mit seiner Siebten - 1884 in Leipzig uraufgeführt - Weltgeltung erlangte. Das hervorragende Leipziger Gewandhausorchester verfolgt mit ihrem Chefdirigenten Andris Nelsons seit 2016 den Plan, alle Symphonien Bruckners aufzunehmen. Auf CD publiziert (DG) sind bisher die Vierte und Siebte; nun folgen auf einem Doppelalbum die Sechste und Neunte - nebst Wagners Siegfried-Idyll und Vorspiel zu "Parsifal".

Das sind allesamt dicke Bretter, die philologisch und klangästhetisch exakt gebohrt werden wollen. Zwei Jahre lang arbeitete Bruckner an der Sechsten, ein geradezu atemberaubender Schaffensrausch, vergleicht man die Zeit, die er auf seine übrigen Symphonien verwendete. Von späteren Nacharbeiten, Verbesserungen, Veränderungen ganz zu schweigen. Insofern erscheint die Sechste bei aller Klang-Megalomanie sehr stringent, deshalb überredet Andris Nelsons das Orchester zu kongenialer Geschlossenheit, ohne dabei auf den gewaltigen, oft überwältigenden Klangzauber zu verzichten. Der wirkt hier stärker als in vielen anderen Aufführungen, in denen die mannigfaltigen Klangeffekte oft noch weiter aufgeblasen werden. Das klingt dann oft übertrieben theatralisch. Nelsons dagegen lässt der Musik Raum zu atmen, sich in allen Details zu entfalten. Hier fällt nichts unter den Tisch zugunsten orchestraler Großoffensiven.

Bruckner arbeitet doch ganz anders als etwa Wagner, den er über die Maßen verehrte. Er nimmt sich weniger harmonische Freiheiten, unterwirft sich strengerer, selbstgewählter Beschränkung. Zwar dehnt er die Form der Symphonie beinahe schon in Mahler'sche Dimensionen, aber zerstören will er sie nicht. Das scheinbar Ungeordnete, Unüberblickbare ist ihm ein Graus. Deshalb wirkt Bruckner oft ein bisschen bieder selbst dort, wo Blechbatterien dröhnen und Streicherbataillone zugange sind. Dieses Vorurteil hörbar zu überwinden, ist die Dirigierleistung Nelsons'.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: