Kino-Jubiläum:Reglose Schönheit

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Vera Miles, hier 1960 in Alfred Hitchcocks "Psycho", wurde am 23. August 1929 als Vera June Ralston geboren. (Foto: SZ Photo)

Die Hollywood-Schauspielerin Vera Miles, die Klassiker von Alfred Hitchcock ("The Wrong Man", "Psycho") und John Ford ("Der schwarze Falke", "Der Mann, der Liberty Valance erschoss") prägte, wird neunzig Jahre alt.

Von Fritz Göttler

Der Albtraum ist vorüber, sagt Manny Balestrero, jetzt können wir wieder neu beginnen. Er war unter falschen Verdacht geraten, ein paar Raubüberfälle in New York verübt zu haben - Verhaftung, Fingerabdrücke, Gefängnis, ein erster Prozess, Versuche, Entlastungszeugen zu finden. Seine Frau Rose hat, auf eine unheimliche Weise, angefangen, sich mitschuldig zu fühlen an der Misere, ist wahnsinnig geworden.

Henry Fonda ist Manny, Vera Miles ist seine Frau Rose, in Alfred Hitchcocks "The Wrong Man", 1957. Manny kam in die Klinik, wo Rose untergebracht ist, aber die reagiert nicht auf die gute Nachricht. Das ist schön, sagt sie tonlos. Für dich. Sie steht am Fenster, starrt vor sich hin, ihr Gesicht ist von einer geisterhaften, reglosen Schönheit und Zartheit. Schau nicht weg von mir, bittet Manny, als Rose den Blick abwendet. Es ist einer der schmerzlichsten Kino-Momente der Fünfziger. Diese verweigernde Absenz ist wie eine grausame, eine perverse Form der Emanzipation.

"The Wrong Man" ist wie ein Übungsfilm, Hitchcock hatte Miles unter Vertrag genommen und wollte seinen nächsten Film mit ihr drehen, "Vertigo", den "Kultfilm". Er bestimmte die Kleider, die sie tragen sollte als Madeleine, sie saß Modell für ein Bild, das eine zentrale Rolle spielt. Aber der Drehbeginn verzögerte sich, Vera Miles wurde schwanger, die Rolle ging an Kim Novak - und auch der Mythos, den die Rolle generierte. Aber Madeleine, verloren in Raum und Zeit, teilt mit Rose die Aura der Unnahbarkeit: Es spielt keine Rolle, wo ich bin. Vera Miles trat für Hitchcock erst wieder in "Psycho" an, als Schwester von Janet Leigh, die im finsteren Bates-Haus das schreckliche Mutterwesen aufstöbert.

Der Schritt in die erste Reihe Hollywoods blieb ihr verwehrt, als sie schließlich neben James Stewart, dem Star von "Vertigo", spielte, war sie seine Ehefrau, in "FBI Story" oder in "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" - hier auch heimlich geliebt von John Wayne, dem sie am Ende eine Kaktusrose auf den Sarg stellt. Die Ausnahme ist "Five Branded Women", von Martin Ritt, da ist sie eine von fünf Jugoslawinnen, neben Silvana Mangano und Jeanne Moreau, die wegen Kollaboration mit den Nazis geschoren und verjagt werden, den deutschen Soldaten entmannen, der an ihrer Misere schuld ist, sich mit Partisanen einlassen.

Die kindlichste Seele ist gleichzeitig auch die stolzeste, hat Jean-Luc Godard zum Filmstart 1957 über Rose Balestrero geschrieben. "Goethe und Balzac haben uns solche Heldinnen gezeigt, die in der entsetzlichen Logik ihrer Leidenschaft zunächst die Ursache und dann die natürliche Nahrung für ihren physischen Verfall finden." Am Freitag wird Vera Miles neunzig Jahre alt.

© SZ vom 23.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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