Kino-Jubiläum:Falten wie Ackerfurchen

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Vom Kameramann zum Erfolgsregisseur: Joseph Vilsmaier. (Foto: AP)

Seine stärksten Bilder sind aus der Heimat - dem Filmemacher Joseph Vilsmaier zum Achtzigsten.

Von Rudolf Neumaier

Er hatte es mit den Bandscheiben. Typisches Kameramann-Leiden. Bei einem Dreh in der Bretagne machte er eine falsche Bewegung, und es knackste im Kreuz. Aus war's. Joseph Vilsmaier brauchte ein paar Wochen Pause. Was für ein Glück für das deutsche Kino! Vilsmaier reiste nach Niederbayern, seine Heimat. Dort gibt es Thermalquellen und ein paar Ortschaften, die ihren Namen mit einem "Bad" vornedran aufpolieren durften, weil die Leute mit dem Heilwasser ihre Rücken- und andere Beschwerden kurieren. Bei dieser Kur wurde der Kameramann Vilsmaier zum Regisseur.

Vor ziemlich genau dreißig Jahren, am 19. Januar 1989, hatte sein Film "Herbstmilch" Premiere. Joseph Vilsmaier hat also zwei gewichtige Anlässe zum Feiern. Denn an diesem Donnerstag wird er 80 Jahre alt.

Geschichten wie die Genese von "Herbstmilch" schreibt nur das Leben, und das wohl auch nur in Bayern. Vilsmaier kam als weltgewandter Filmmensch zurück in die Provinz, wo sie möglichst wenig wissen wollen vom funkelnden und piepsenden Tamtam in der Stadt. Auf dem Weg zum Kurbad erblickt er einen Bauern auf dem Feld. Er erkennt ihn, ein alter Spezl aus Kinderzeiten, und spricht ihn an. Jahre später erinnerte sich Vilsmaier in einem Interview mit der Abendzeitung noch genau an die Begegnung.

Da erzählt ihm der Bauer: "Da gibt's eine verrückte Bäuerin in Schönau drüben, die hat ein Buch geschrieben." Und dass in dem Buch auch der Schockerl vorkommt, der Spitz vom Sepp seiner Familie, das erzählt er ihm auch. Vilsmaier kauft sich das Buch. Anna Wimschneider heißt die Autorin, geboren 1919 als viertes von neun Kindern. "Herbstmilch" ist ihre Autobiografie. Verrückte Bäuerin? Das Buch hat sich schon 100 000 mal verkauft, als es Vilsmaier in die Hände fällt. Aber so ist es halt in manchen Landstrichen Bayerns, in denen die Aufklärung nur unvollständig durchgedrungen ist: Wer zu eifrig reflektiert und dann womöglich sogar noch ein Buch draus macht, der gilt schnell mal als gspinnert . Eigentlich wäre auch Vilsmaier ein Gspinnerter. Doch er, der Heimgekehrte, der es draußen in der Welt zu etwas gebracht hat, schwebt über den tradierten Kategorien.

Seine ganze Karriere verdankt Josef Vilsmaier seinem Auge und seinem Gespür für Situationen. Die Wimschneider-Lektüre begeistert ihn. Das ist es! Noch am Abend, an dem er das Buch auf einen Sitz ausgelesen hat, versucht er die Bäuerin zu erreichen. Sie liegt schon im Bett, in der Früh um sechs müssen die Kühe gemolken werden. Aber am nächsten Tag sitzt Vilsmaier an ihrem Mittagstisch.

"So war das früher", sagen die Bauern bei der Filmpremiere

Der Kameramann will's wissen. Er beantragt Fördergeld. Auf den Formularen steht nur ein Name. Produktion: Vilsmaier. Regie: Vilsmaier. Kamera: Vilsmaier. Casting: Vilsmaier. Und so weiter: Vilsmaier. Er fährt von Hof zu Hof, sucht Drehorte und Requisiten. Als Setfotograf bietet sich der Landrat an, Vilsmaier sagt sofort zu. Alles andere organisiert er selbst. Wo ein alter Dreschflegel herumhängt, leiht er ihn sich aus. Und wo ihm eine Gestalt mit markanten Gesichtszügen begegnet, engagiert er sie für die Statisterie. Es gibt Szenen in dem bäuerlichen Kinodrama "Herbstmilch", die vergisst man nicht - schon wegen dieser Gesichter. Der Tod von Annas Mutter im Wochenbett ist eine solche Szene: Die ganze Hausgemeinschaft, die rotzverschmierten Kinder und die ausgetrockneten Alten mit Falten wie Ackerfurchen um die Nasen, betet die Frau hinüber ins Jenseits, und Vilsmaier hält ebenso geduldig wie zärtlich die Linse auf die Hände der Sterbenden. Ohne jeden Ekel vor dem Schmutz unter den Fingernägeln.

Die Bauern, die er fürs Mitspielen begeistert hatte und die sich dann ohne jegliche Gage vor die Kamera stellten, sind begeistert vom Ergebnis: "So war das früher", sagen sie bei der Filmpremiere. Ihr Lob und das der Anna Wimschneider scheinen Vilsmaier mindestens so wichtig zu sein wie der Erfolg in den Kinos. In seiner neuen Eigenschaft als Filmemacher reüssiert Vilsmaier von nun an vor allem, wenn er Geschichte erzählt mit der archaischen Kraft seiner Bilder. In "Rama dama" und in der Verfilmung des Sigi-Sommer-Romans "Und keiner weint mir nach" fesselt Vilsmaier mit seinem Blick auf die kleinen Leute und ihre Sorgen.

Erfolg hat er dann auch mit "Comedian Harmonists". Sein Film über Marlene Dietrich kommt in Amerika besser an als in Deutschland. Wer aber sein bislang letztes Werk gesehen hat, eine seltsame Hochglanzschwärmerei über den Freistaat Bayern, fragt sich traurig, warum dieser Zeitzeuge aufgehört hat, aus der Geschichte zu schöpfen. Eigentlich wäre es jetzt Zeit für eine eigene Autobiografie. Der Knabe Sepp, in München geboren, wächst im Rottal, dann in einem katholischen Internat auf. Er lernt Klavier spielen, studiert das Instrument sogar, spielt in einer Jazzcombo. Dann fängt er bei der Bavaria an, er darf bei den Kameraschwenks die Schärfe nachstellen. Rückt auf zur zweiten Kamera, dann zur Hauptkamera. Er weiß, wie's geht. Aber irgendwann erleidet er einen Hexenschuss. Und er trifft in Niederbayern eine Bäuerin, die ein Buch geschrieben hat. Was für ein Stoff!

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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