Kino:Im postmortalen Wartezimmer

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Schauspieler von der Straße und minimale Ökonomie: Inzwischen ist Pedro Costa sein eigenes Studio geworden. (Foto: Grandfilm)

Pedro Costas neuer Film "Horse Money" zeigt die Verlierer der portugiesischen Revolution als Wiedergänger in einem Zwischenreich. Mit dabei: sein Star Ventura - post mortem.

Von Philipp Stadelmaier

Große Filme großer Regisseure haben etwas gemeinsam: Sie entwickeln in aller Gründlichkeit eine einzige, präzise Idee. So auch Pedro Costas "Horse Money". Hier sehen wir anfangs einen alten Mann, der eine Treppe in einen Schacht hinabsteigt und in der dunklen Tiefe des Bildes verschwindet. Dann kommt er in einem Tunnel langsam wieder auf die Kamera zu. Ein Mann verschwindet und kommt zurück, um uns erneut zu konfrontieren: Dies ist die oft wiederholte Grundbewegung dieses Films. Denn es geht um Gespenster, um Wiederkehrer.

Der Mann heißt Ventura, im Film wie im echten Leben. Bereits in "Jugend voran!" von 2006, Costas letztem Film, war er die Hauptfigur. Als junger Mann kam er Anfang der Siebzigerjahre von den Kapverden nach Portugal, wo er sich als Arbeiter verdingte, mit der Nelkenrevolution das Ende der Diktatur erlebte und schließlich im Lissabonner Slum von Fontaínhas ein trauriges Dasein fristete.

"Jugend voran!" zeigte Ventura im Alter. Während der Slum abgerissen wird, um Platz für Sozialwohnungen zu machen, sucht er diejenigen, die er "seine Kinder" nennt: Sein Volk, das ein Volk von Migranten aus den alten Kolonien, von Ausgebeuteten ist.

Acht Jahre später entdecken wir in "Horse Money" einen Ventura post mortem. Der Alte mit dem riesenhaften Körper ist nun ein Toter, ein ruheloser Zombie. Noch immer zitternd vom Leid, das er erfahren hat, irrt er durch eine Zwischen- und Totenwelt, durch Lichtschächte, die Schneisen ins Dunkel schlagen, durch Flure, Wartezimmer und Aufzüge einer albtraumhaften Krankenhauswelt. Er schlingert zwischen Gestern und Heute, den Kapverden und Portugal, sich und den anderen.

Brandstifter, Epileptiker, Dealer und Selbstmörder bevölkern die Krankenhauswelt

Ventura ist die exemplarische Figur einer Gemeinschaft, deren Mitglieder dieses dunkle Reich bevölkern: Brandstifter, Epileptiker, Drogenhändler, Selbstmörder. Der Riese selbst ist nicht nur eine, sondern viele Figuren, da er sich an allen möglichen Stellen seines Lebens gleichzeitig befindet. Ebenso treffen wir hier sein jüngeres Ich und eine alte Witwe, die ebenso seine Frau wie die eines anderen oder einfach nur eine weitere Version von Ventura selbst sein könnte.

"Horse Money" erzählt schließlich die Geschichte einer enttäuschenden Revolution, mit der ein Heer von Stimmen den alten Mann am Ende konfrontiert. Die Nelkenrevolution von 1974 und das Ende der Diktatur waren für Ventura und die Seinen kein Start in ein besseres Leben. Die marxistischen Ideale, die die Revolution inspiriert hatten, wurden aufgegeben; Portugal wurde ein kapitalistischer Staat.

Ventura, ein Maurer, baute Banken. Sein von ihm selbst gebautes Haus wurde zusammen mit dem Rest von Fontaínhas Anfang unseres Jahrhunderts abgerissen. So wurden die ohnehin Ausgebeuteten noch ihres Zuhauses beraubt und (wie in "Jugend voran!") in neue Wohnungen deportiert. Das Krankenhaus in "Horse Money" ist damit auch eine Verdichtung all jener sterilen und unpersönlichen Versorgungsorte für Subalterne. Es ist Irrenanstalt, Strafkolonie, Amt und Polizeistation in einem.

Aber ebenso wie seine großen filmischen Paten, Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, ist Costa nicht nur ein marxistischer, sondern vor allem ein durch und durch materialistischer Filmemacher. Das Krankenhaus ist nicht nur Verwaltungsort, sondern auch die exakte Umsetzung der Idee eines Totenreichs, in dem die Opfer der Geschichte wiederkehren. Denn ein Gespenst ist ja gewissermaßen ein "kranker" Toter, der noch nicht richtig tot ist. Die Krankheit der Toten besteht darin, Geister, Phantome, Wiedergänger zu sein; also darin, so sehr zu leiden, dass sie vor Schmerz und Wut keine Ruhe finden.

Für Costa bekommt sein Film damit eine "ewige Gegenwart", in der das Vergangene nie vergangen ist. Es ist die ewige Gegenwart der Ungerechtigkeit, an die Costa mit Fotografien von Jacob Riis erinnert, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Leben des New Yorker Subproletariats dokumentierte. Aber es ist auch die ewige Gegenwart des Kinos, das Costa in seinen klassischen Formen weiterführt. Er beruft sich auf das amerikanische Studiokino: auf den Humanismus Chaplins, auf die Geister- und Zombiegeschichten eines Jacques Tourneur, aber vor allem auf das Geschichtsbewusstsein John Fords. Abgesehen davon, dass Ventura als kapverdischer John Wayne durchgehen könnte, erinnern die vielen statischen Einstellungen bei Costa zudem sehr an Fords visuellen Stil.

Inzwischen ist Costa sein eigenes Studio geworden: mit seiner kleinen Digitalkamera, seinen Schauspielern "von der Straße" und seiner minimalen Ökonomie. Die ungeheuren Bilder, die er dabei mit viel Geduld und Arbeit aus dem Dunkeln birgt, das seinen Film stets umfließt, zeigen ihn als einen der größten Filmemacher unserer Zeit.

Cavalo Dinheiro , Portugal 2014 - Regie und Buch: Pedro Costa. Kamera: Leonardo Simões. Mit Ventura, Vitalina Varela, Tito Furtado. Grandfilm, 103 Minuten.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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