Kino:Geld für die Welt

Lesezeit: 3 min

Camille (Maripier Morin) und Pierre-Paul (Alexandre Landry) auf Robin-Hood-Mission. (Foto: MFA)

Die kanadische Krimitragikomödie "Der unverhoffte Charme des Geldes" von Denys Arcand ist ein Highlight dieses Kinosommers.

Von Anke Sterneborg

Er ist eine recht armselige Erscheinung, dieser Pierre-Paul, mit seiner kläglichen Miene und seinem selbstmitleidigen Geschwätz. Wie er da so im Café vor seiner Gerade-noch-Freundin sitzt und ausschweifend ausführt, warum ein intelligenter Mensch wie er niemals zu Reichtum kommen wird, in dieser kapitalistischen Welt. Auch ein paar Minuten später macht er keine sonderlich gute Figur, als er mit seinem Lieferwagen auf einem Parkplatz steht und mit offenem Mund staunend eine Schießerei beobachtet, an deren Ende zwei große, schwarze Taschen voller Geldscheine herrenlos vor ihm liegen bleiben.

In einem kurzen Moment des Mutes packt er die Taschen, schubst sie in den Laderaum seines Kurierautos, schiebt ein paar Pappen davor und schaut ahnungslos, als die Polizei ihn kurz darauf als Zeugen befragt. Allmählich wächst einem dieser Typ mit dem Allerweltsgesicht des kanadischen Fernseh- und Theaterschauspielers Alexandre Landry in der Krimikomödie "Der unverhoffte Charme des Geldes" ans Herz. Ausnahmsweise trifft der deutsche Verleihtitel den Kern dieses wundersamen Films besser als das Original, das sich ein wenig schnöde an Denys Arcands großen Erfolgsfilm aus den Achtzigerjahren dranhängt, ohne wirklich etwas damit zu tun zu haben. Auf "The Decline of the American Empire" von damals folgt jetzt "The Fall of the American Empire", auf den Untergang der Absturz. Der frankokanadische Regisseur bleibt seinem gesellschafts- und konsumkritischen Anspruch treu, wirkt dabei aber luftiger und gelassener als früher.

So beginnt eine Art Heist Movie, in dem es allerdings nicht darum geht, Wertsachen aus einem Hochsicherheitssafe zu rauben, sondern darum, das zugefallene Geld in Sicherheit zu bringen, dem Gangster, Polizisten und Finanzbeamte nachjagen. Im Unterschied zu allen anderen geht Pierre-Paul mit sauberen Motiven ans schmutzige Geld heran, wie ein moderner Robin Hood, dem es weniger um Bereicherung als um Umschichtung geht. Wo immer er vorbeikommt, lässt er im Vorübergehen ein paar Münzen in entgegengestreckte Becher und aufgehaltene Hände der im Stadtbild von Quebec allgegenwärtigen Obdachlosen klimpern und engagiert sich außerdem noch ehrenamtlich in Suppenküchen und Altkleidersammlungen. Mit seiner Selbstlosigkeit steckt er alle an, denen er begegnet, auch weil er seine Argumente mit geistreichen Zitaten von Philosophen wie Epikur, Marc Aurel oder Wittgenstein ausschmückt.

"Helfen Sie mir, ich habe zu viel Geld", sagt Pierre-Paul, und alle kommen. Denys Arcand führt Menschen zusammen, die sich unter normalen Umständen niemals begegnen würden. Ein kleiner Kurierbote, ein Luxus-Callgirl, ein Ex-Knacki und Rocker, der hinter Gittern ein Wirtschaftsstudium absolviert hat, ein Offshore-Banker, ein Obdachloser, ein paar Kleinkriminelle und Mobster mit hohem Gewaltpotenzial. Dazu noch jede Menge ehrenamtliche Helfer und echte Obdachlose. Und jeder von ihnen trägt sein eigenes Genre in den Film, die schöne Hure eine romantische Komödie, der Rocker eine skurrile Krimikomödie, der Banker einen Bankenthriller, die Gangster eine Mafiageschichte, die Obdachlosen eine Sozialsatire mit dokumentarischem Flair.

Leicht könnte das in ein maßloses Durcheinander ausarten. Doch der bald achtzigjährige Regisseur verbindet diese unterschiedlichen Tonlagen mit altersweiser Lässigkeit und Eleganz. Pierre-Paul, der im Rausch seines neuen Reichtums die Rotlichtbezirke des Internets durchforstet und von den marktschreierischen Angeboten abgestoßen wird, bleibt an einer jungen Frau hängen, die mit einem Sokrates-Zitat wirbt und sich Aspasia nennt, wie die große Philosophin der Antike, was ihn natürlich betört. Besiegelt wird sein Schicksal durch die engelhafte Erscheinung der kanadischen Fernsehmoderatorin Maripier Morin, die hier in ihrer ersten Kinohauptrolle zu sehen ist. So wie hier der Intellekt über die niederen Instinkte triumphiert, funktioniert im Grunde der ganze Film. Das Klischee von der heiligen Hure dreht Arcand ebenso wie den Mythos von Robin Hood und das Drama eines Millionenraubs und zurrt alle Komponenten zu einem utopischen Märchen zusammen, das tief in der Wirklichkeit verwurzelt ist und bei allem Amüsement durchaus ernst gemeint ist.

La Chute de l'empire Américain , Kanada 2018. Buch und Regie: Denys Arcand. Kamera: Van Royko. Schnitt: Arthur Tanowsky. Mit: Alexandre Landry, Maripier Morin, Remy Girard, Pierre Curzi, Eric Bruneau. MFA, 124 Minuten.

© SZ vom 06.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: