Kino:Geisterstunde

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Der gruselige südkoreanische Thriller "The Wailing" erzählt von einem Polizisten in der Provinz, der es in seinem Heimatdorf mit einer grausamen Mordserie zu tun bekommt. Und zu seinem Leidwesen auch noch mit Gespenstern.

Von Philipp Stadelmaier

Es regnet. Dieser Eindruck begleitet die ersten Minuten des Films, und er bereitet auf etwas vor, was im Hintergrund lauert und ebenso unabwendbar sein wird wie das Wetter. Als würde sich mit dem Niederschlag ein diffuses Unwohlsein über das kleine, von Wald umgebene südkoreanische Bergdorf legen; als wäre der Regen etwas, von dem man undeutlich weiß, man will nicht von ihm getroffen werden. Obwohl man früher oder später mit ihm in Berührung kommen wird.

Jong-gu, der Polizist, würde bei solchen ungemütlichen Bedingungen am liebsten zu Hause bleiben. Bei Mutter, Frau und Tochter. Er muss trotzdem raus ins Nasse, denn er wird zu einem Mordfall gerufen und findet eine schaurige Szene vor. Ein Massaker, verstümmelte Leichen auf einem Hof; der Tatverdächtige sitzt schon in Handschellen da, blutüberströmt, leerer Zombieblick. Es handelt sich um einen Nachbarn, in dem Dorf kennen sich die Leute seit Generationen.

Der Polizist (Kwak Do-won) muss grausige Morde aufklären. (Foto: Verleih)

Eine unbegreifliche Tat. Ein Mordopfer wurde in einem aus Ästen und Gerümpel angerichteten, von Kerzen umgebenen Bett geschlachtet.

Der Horrorthriller "The Wailing" des südkoreanischen Regisseurs Na-Hong-jin lässt sich zunächst mit der bewährten Formel zusammenfassen, dass in einem kleinen Dorf mysteriöse Dinge passieren. Die Bewohner fangen an, sich auf bestialische Art umzubringen, ohne dass jemand weiß, warum. Auch die Täter sind schwer traumatisiert. Ein japanischer Einsiedler greift Leute im Wald an, eine Frau brennt ihr Haus nieder und erhängt sich danach.

Jong-gu (Kwak Do-won), der ermittelnde Polizist, der anfangs so gern zu Hause geblieben wäre, trottet zunächst von Tatort zu Tatort, als würde der Schrecken schon wieder von alleine weggehen. Der Mann ist ein gemütlicher Familienmensch, der mit seiner Frau im Auto Sex hat, Zeit mit seiner Tochter am Fluss verbringt und mit dem Kollegen die Beine aus dem Autofenster des Polizeiwagens baumeln lässt. Ganz abgesehen davon ist er nicht der mutigste. Die Frau, die nachts auf einmal am Fenster der Polizeistation auftaucht, und jene, die auf der Straße Steine nach ihm wirft, machen ihm gewaltige Angst. Dann steigt die Stresskurve langsam weiter. Wenn wieder ein Opfer im Krankenhaus aus unerfindlichen Gründen am eigenen Blut erstickt oder eben noch brave Kinder plötzlich zu Messern greifen, wird nun oft ein Satz geäußert oder eher geschrien, der sich langsam ins Gedächtnis des entsetzten Zuschauers einbrennt: "Was um alles in der Welt ist denn gerade wieder passiert?"

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"The Wailing" ist ein großer Film darüber, was es heißt, in etwas hineingezogen zu werden, ohne dass man weiß, in was genau. Es ist ein Film über die Angst, vor allem, da man lange nicht weiß, wovor man eigentlich Angst haben soll. Irgendwann glaubt man zu wissen, was los ist: Hier treiben Geister ihr Unwesen. Bald auch in der Familie des Polizisten.

"The Wailing", der auch bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde, ist nicht nur ein Kriminal-, sondern auch ein Geisterfilm. Die Geister sind hier ein Teil der Natur und haben unmerklich die Sphäre der Menschen kontaminiert, wie der Regen, der über alle herniedergeht und gegen den man nichts machen kann. Sie sind keine Fantasiefiguren, sondern von den Menschen nicht zu unterscheiden. Genauer gesagt: Man kann sie für Lebende halten, aber nicht alles, was sich bewegt und atmet, lebt noch, wie ein Schamane erklärt, der ins Dorf gerufen wird, um Exorzismen vorzunehmen.

Die verrückte Frage, die in diesem Film gestellt wird und einen über zweieinhalb Stunden unter Hochspannung lässt, wäre dann: Wer ist ein Geist und wer nicht, und welcher der Geister ist wirklich der Böse? "Wailing" bedeutet auch "Klagen", und die Fahrt, die der Film zum Ende hin aufnimmt, besteht vor allem in einer zunehmenden Verzweiflung darüber, dass der Kampf mit den Dämonen keinem Heilsplan und keiner Erlösung folgt. Der Horror besteht nicht in der Erfindung irgendwelcher Fantasiewesen oder darin, dass die Menschen zum Spielball höherer Kräfte werden. Die enorme Kraft und der Horror dieses Meisterwerkes entstehen im Gegenteil daraus, dass die Menschen im Film (und die Zuschauer) nicht mehr wissen, wem sie glauben und wie sie die Welt um sich herum interpretieren sollen. Alle Ansätze, medizinische, polizeiliche und spirituelle, scheitern. Man muss irgendwem glauben, weiß aber nicht, was und wem. Gerade die letzte halbe Stunde, in der sich alles extrem zuspitzt, entfaltet ein furchtbares Glaubensdilemma, dem keiner entgehen kann. Nicht mal die Geister.

Gokseung , Südkorea 2016 - Regie, Buch: Na Hong-jin. Kamera: Hong Kyung-pyo. Mit Kwak Do-won, Hwang Jung-min, Jun Kunimura. Alamode, 156 Min.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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