Kino:Fliegen lernen

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Mit ihrer Filmreihe "Femmes totales", die gerade durch Deutschland tourt, will die Münchner Verleiherin Monika Kijas Regisseurinnen und ihre Werke fördern, die sonst leider durchs Raster der Kinoauswertung fallen.

Von Anna Steinbauer

Yula ist ein durchschnittlich rebellischer Teenager. Sie färbt sich die Haare pink und sammelt erste Erfahrungen mit Alkohol und der Liebe. Trotzdem wächst Yula nicht auf wie andere russische Mädchen in ihrem Alter. Sie lebt mit ihrer Mutter, deren Gesicht von Wetter und Wodka gezeichnet ist, auf einer der größten Müllhalden Europas. Svalka heißt diese verbotene Zone, wo der Zutritt eigentlich verboten ist. Die Mafia treibt hier illegale Recycling-Geschäfte, es wird geschossen und vergewaltigt. Trotzdem hat sich eine Gruppe Menschen die Deponie zur Heimat gemacht. Von der Gesellschaft verstoßen, leben sie von den Abfällen der Zivilisation. Eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft, in der das Mädchen Yula ihre Pubertät erlebt.

Vierzehn Jahre lang hat die polnische Filmemacherin Hanna Polak sie begleitet. Entstanden ist daraus das beeindruckende Langzeitporträt "Yulas Welt". Obwohl es verboten ist, dort zu filmen, drang die Regisseurin immer wieder heimlich in die Mülldeponie ein. Unzählige Male wurde sie dabei von der Polizei gefasst, die Teile ihres Filmmaterials konfiszierte und zerstörte. Pollaks tiefe Solidarität zu den Ausgestoßenen, Außenseitern und ihren Träumen von einem besseren Leben, das doch nie kommen wird, wurde über die Jahre immer stärker, ihre Empathie trägt den Film.

Die preisgekrönte Dokumentation befindet sich derzeit - zusammen mit vier anderen Filmen von Frauen - auf Kinotour durch Deutschland. Unter dem Namen "Femmes totales" hat die Münchner Verleiherin Monika Kijas diese Filmreihe ins Leben gerufen. Die Kinos können die fünf Filme buchen, alle oder auch nur einen. Derzeit sind sie unter anderem in Hamburg, Berlin und München zu sehen, eine ausführliche Liste findet sich auf der Website femmes-totales.de.

Kijas möchte mit ihrem kleinen Verleih "eksystent", den sie vor drei Jahren gegründet hat, zeitgenössisches Kino von Frauen auf die Leinwand bringen. "Ich wollte einen Querschnitt des weiblichen Filmschaffens zeigen", sagt sie. Die Verleiherin hat ihre Filme international zusammengestellt: vom Dokumentarfilm "Girls Don't Fly", der von der ersten Flugschule für Mädchen in Ghana erzählt, über den Mystery-Thriller "Hitzewelle" bis zur israelischen Komödie "Null Motivation" und dem Episodenfilm "Geschichten aus Teheran" der iranischen Filmemacherin Rakhshan Bani-Etemad. Und eben der Dokumentation über das Mädchen auf der Müllhalde, über die im toxischen Dreck spielenden Kinder, über denen die Geier kreisen.

Allesamt liefen die Filme auf vielen Festivals und erhielten Preise. "Kino von Frauen kann alles sein, wie Kino von Männern eben auch", sagt die Verleiherin. Es geht ihr gar nicht darum, einen Vergleich aufzustellen zwischen männlichen und weiblichen Kinokunstansätzen. Sondern vielmehr darum, die Werke von Filmemacherinnen überhaupt erst sichtbar zu machen, und zwar dort, wo sie ihrer Meinung nach hingehören: auf der großen Leinwand. Schließlich gäbe es sehr gute Filme von Frauen, die auf Festivals Anerkennung bekommen, den Sprung ins Kino mangels Verleiherinteresse allerdings oft nicht schaffen.

Regisseurinnen fallen mit ihren Stoffen im normalen Verleihprogramm gerne durchs Raster, was dann oft nur die finale Hürde nach einem ohnehin mühsamen Produktionsprozess ist - denn Regisseurinnen bekommen ihre Projekte meist auch nur schwer finanziert.

Dabei zeigt eine Reihe wie "Femmes totales", dass die Perspektiven, Genres und Gestaltungsmittel, die hier aufeinandertreffen, so vielfältig und unterschiedlich sind, dass der ewige Vorwurf, Frauen könnten kein Genrekino, längst überholt sein müsste. Die Filme haben aber dennoch eine zusätzliche Ebene, die sie vielleicht dem Umstand zu verdanken haben, dass sie von Regisseurinnen stammen, weil sie sich alle dezidiert mit weiblichen Perspektiven beschäftigen.

In "Girls Don't Fly" zeigt die Max-Ophüls-Preisträgerin Monika Grassl den militärischen Drill, mit dem die afrikanischen Schülerinnen in der Flugschule in Ghana erzogen werden, und die patriarchalen Strukturen, die einst durch den britischen Kolonialismus in das Land getragen wurden. Mit schwarzem Humor hinterfragt Talya Lavie in "Null Motivation" die Bedeutung der Frau in der israelischen Armee. Und in "Geschichten aus Teheran", den die Regisseurin Bani-Etemad an der Zensur vorbeischmuggeln musste, zeigt sie das Leid von Frauen, die von ihren Ehemännern misshandelt werden, aus deren Perspektive - eine Seltenheit im iranischen Kino.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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