972 Breakdowns - Auf dem Landweg nach New York
Eine Panne ist international und braucht wenige Worte. Vor allem, wenn man sich wie die fünf Kunststudenten in Daniel von Rüdigers amüsant-fesselnder Doku auf klapprigen russischen Ural-Motorrädern auf dem Landweg Richtung Osten nach New York befindet. 40 000 Kilometer weit geht es zweieinhalb Jahre lang mit Kamera quer durch Russland, die Mongolei und Sibirien, durch Flüsse, Sumpf, Geröll und Wüste. Das Kunstprojekt wird zur spektakulären Überlebensperformance, wildfremde Menschen erweisen sich als Helfer in der Not und die Natur immer wieder als unberechenbare Größe.
After Truth
Teil zwei der "After"-Serie von Anna Todd. Mehr Sex, mehr Traumata, mehr Missverständnisse, heftig, hitzig und hochprozentig durchgespielt von Tessa (Josephine Langford) und Hardin (Hero Fiennes Tiffin). Regie führt Roger Kumble, der einst die "Gefährlichen Liebschaften" auf jung trimmte. Die Liebe wird ganz rituell, wenn ein Knabe den Heiratsantrag macht für seinen Vater.
Corpus Christi
Ein Glück, dass Pater Tomasz sein Handy im Beichtstuhl dabei hat und googeln kann, was er tun muss. Denn eigentlich heißt er Daniel und wurde gerade aus dem Jugendknast entlassen, ein Hilfsjob auf dem Land sollte ihm Struktur geben. Doch durch ein Missverständnis hält ihn die kleine Dorfgemeinde für ihren neuen Priester. Daniel spielt mit und gibt dem vom Schicksal gebeutelten Ort mit unorthodoxen Predigten wieder Hoffnung. Regisseur Jan Komasa seziert in seinem vielfach ausgezeichneten Film das Wesen der Scheinheiligkeit. Dabei findet er im Ringen mit Vergeltung, Vergebung und Erlösung Momente wahrhaftiger Empathie und weltlicher Komik.
Drei Tage und ein Leben
Kurz vor Weihnachten 1999 verschwindet ein sechsjähriger Junge in einem kleinen Dorf in den belgischen Ardennen. Mit stummem Entsetzen verfolgt der zwölfjährige Antoine die Suche nach ihm. Dann wird sie abgebrochen, weil ein Jahrhundertsturm das Land verwüstet. In der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Pierre Lemaitre erzählt Nicolas Boukhrief davon, wie ein kleiner impulsiver Moment ein ganzes Leben vergiftet, und wie sich Trauer, Schmerz, Scham und Schuld in der Dorfgemeinschaft ausbreiten wie die winterlichen Nebelschwaden über den dunklen Wäldern, die das Dorf umgeben und ein erschütterndes Geheimnis bergen.
Der flüssige Spiegel
Juste (Thimotée Robart) streift in einer schwarzen Glitzerjacke durch Paris und begleitet frisch Verstorbene ins Jenseits. Bis er Agathe (Judith Chemla) begegnet, die glaubt, ihn zu erkennen. Er beginnt, seine Pflichten als Jenseitsbegleiter zu vernachlässigen, und alles gerät aus den Fugen. Ein interessanter, seiner Prämisse nicht immer treu bleibender Film von Stéphane Batut, der nahelegt, dass Sex mit Geistern ein ziemlich lohnendes Erlebnis ist.
Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess
Sam ist zehn Jahre alt, macht mit seiner Familie Sommerurlaub auf der Insel Terschelling und denkt viel an den Tod. Wusste zum Beispiel der letzte Dinosaurier, dass er der letzte seiner Art ist? Um sich als jüngstes Familienmitglied und somit zukünftiger letzter Überlebender auf die Einsamkeit vorzubereiten, trainiert Sam das Alleinsein am Strand - bis er die ältere Tess trifft, die ihn zu allen möglichen Verrücktheiten anstiftet. Regisseur Steven Wouterlood erzählt aber nicht einfach eine "Junge-trifft-Mädchen-Geschichte", sondern gibt seinen Figuren ein paar größere und wichtigere Probleme als den ersten Kuss mit in die Ferien.
Nina Wu
Nacktszenen will Nina Wu eigentlich nicht drehen, aber der dazugehörige Film verspricht den Durchbruch. Gute Rollen haben ihren Preis. Wie hoch der ist, zeigt sich, als die Schauspielerin - wie der Zuschauer - konfrontiert mit Demütigungen am Set und Fieberträumen von langen Hotelgängen bald nicht mehr zwischen Realität, Fiktion und Wahn unterscheiden kann. Der kunstvoll labyrinthische "MeToo"-Film des taiwanesischen Regisseurs Midi Z (nach Drehbuch von Darstellerin Wu Ke-xi) mischt Neo-Noir mit Exploitation und Psycho-Thriller und erzählt vom Kaputtgehen an sexuellen Übergriffigkeiten.
Eine private Angelegenheit
Der Partisan Milton (Luca Marinelli) sucht gegen Kriegsende im piemontesischen Nebel einen Freund und die Wahrheit über eine frühere Liebschaft. Der letzte gemeinsame Film von Paolo und Vittorio Taviani, der 2018 starb, ist in seiner träumerischen Entrücktheit berührend und kraftvoll politisch: ein Zulaufen auf einen aufgeschobenen Tod, der immer noch ebenso bevorsteht wie das Ende des Kampfes gegen den Faschismus.
Uferfrauen
Der alte Stadtwall in Rostock ist auch heute noch ein Treffpunkt der Schwulen. "Und wo haben sich die Lesben getroffen?" fragt Regisseurin Barbara Wallbraun eine der Frauen, mit denen sie in ihrer sehr intimen Doku über homosexuelles Leben in der DDR spricht. "Das hätte ich auch gerne gewusst" antwortet sie, erzählt vom großen Unwissen, von Verfolgung und der relativen Freiheit von Lesben und Schwulen in Berlin. Das ist oft bewegend, etwas mehr historische und juristische Einordnung der spezifischen Homophobie und Diskriminierung im Sozialismus hätten dem Film aber gut getan.