Kino aus Rumänien:Am Rand der Zeit

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Mit ihren flammendroten Haaren lockt Andra Isabela Guti ins „Rumänischen Filmfestival“, sie spielt in „Alice T.“ von Radu Muntean die Hauptrolle. (Foto: Vlad Cioplea)

Exkursionen in einen der großen magischen Teile des modernen Weltkinos - das "Rumänische Filmfestival" im Münchner Filmmuseum führt bis nach Kabul, La Gomera und in den film noir.

Von Fritz Göttler

Bei uns Rumänen, erklärt der junge Mann seinem Zellengenossen, brechen die Knochen leicht: "Kalziummangel! Wir trinken nicht ordentlich Milch. Bei den Amerikanern geht das nicht so leicht. Sie haben Milch und Orangensaft, jeden Morgen." Es ist 1983, die letzten Jahre vor dem Ende der langen Diktatur Ceaușescus. Der junge Mann, Vali (Iulian Postelnicu), wurde vom Gefängnisdirektor instrumentiert, dem anderen Mann (Alexandru Papadopol, der auch in Maren Ades "Toni Erdmann" mitspielte) Informationen zu entlocken über dessen Familie und Bekannte. Vali kennt alle Tricks, das Überreden und Schikanieren und Drohen, und auch Gewalt, heftig ausbrechend. Eben hat er dem anderen Mann eine Rippe gebrochen. Am Ende wird dieser zum willenlosen, wimmernden Stück Fleisch.

"Arest (Der Arrest)", 2019, von Andrei Cohn ist mit seinen zwei Stunden quälenden Psychoterrors das härteste Stück des diesjährigen Rumänischen Filmfestivals im Filmmuseum. Ein persönlicher Film, sagt der Regisseur, er soll die Verantwortung eines jeden einzelnen im totalitären Alltag erforschen. "1989 war ich ein rebellischer Teenager, ich hörte Rockmusik und nahm all den Missbrauch des Regimes hin, ohne die geringste Reaktion ... In diesen Jahren kreuzten sich die Wege der Furchtsamen mit denen der Schurken. Es ist wichtig, dass wir unseren eigenen Part in der Geschichte zugeben." Der auch bestimmt wird durch die Schräglage der Klassen, Vali ist ein Underdog, voller Frust und Hass auf das Bürgertum.

Das Festival startet an diesem Donnerstag eher traditionell, mit "Moromeţii 2 (Die Familie Moromete - Am Rand der Zeit", 2018, von Stere Gulea, nach dem Roman von Marin Preda. Der erste Teil von 1987 hatte die Geschichte von Ilie Moromete in Vorkriegszeit und Faschismus gezeigt, nun ist Ilie alt geworden und muss sich mit den Bürokraten des sozialistischen Regimes rumschlagen. Sein Sohn will studieren, er liest viel, angestrengt und konzentriert. Ilie will sich nicht fügen, am Ende legt er sich auf sein Bett, und die Kamera steigt in die Höhe, bis das Häuschen ausschaut wie ein hölzerner Sarkophag.

Das rumänische Kino ist in den letzten Jahren einer der großen magischen Teile des modernen Weltkinos geworden, durch Filmemacher wie Cristian Mungiu, Cristi Puiu, Anca Damian, die auf allen internationalen Festivals ihre Filme zeigen konnten. Eine beharrliche Kontemplation und Verzögerung macht den Rhythmus dieser Filme aus, die konsequente Weise, wie sie Raum und Zeit behandeln: Lange Einstellungen, Leute, die mit nimmermüder Ernsthaftigkeit eher unbedeutende Fragen diskutieren, in kleinen Apartments, die mit bürgerlichem Anspruch vollgestopft sind. Der postsozialistische Mittelstand, auf der Suche nach Stabilität, die ihn direkt in die Stagnation führt. Das Dilemma, das Trauma der Wendezeit, in deren Gegenwart der Geist des Regimes weiter gespeichert ist. Bürgerliche Geschlossenheit, die immer etwas Kerkerhaftes hat. "Arrest" hat, durch seine Beschränkung auf den Raum der Zelle, mit seiner fiesen Grausamkeit etwas von einer Parodie auf den Rumänenfilm.

Ein Wesensmerkmal des rumänischen Kinos ist sein Hang zur beharrlichen Kontemplation

Das gilt auch für "Dragoste 1. Câine/Liebe 1. Hund", 2018, von Florin Şerban, da findet ein Förster eine vergewaltigte Frau in den unberührbaren Wäldern, er holt sie in seine Hütte, will herausfinden, was sie erlebt hat. Er warnt sie vor seinem Hund, kauft ihr ein Paar Seidenstrümpfe. Die Freiheit der Natur wird zerstört durch die sozialen Phantasmen - dass ein Mann sich sorgen muss um eine Frau. Sie rächen muss für das, was ihr angetan wurde.

Die Freiheit der Frauen beschwört "Alice T.", 2018, von Radu Muntean. Andra Isabela Guti ist Alice, 16 Jahre, mit Haaren so feuerrot wie die von Franka Potente als Lola. Ein rebellischer Teenager, sie merkt, dass sie schwanger ist, das führt zu einem heftigen Streit mit der Mutter, die ist alleinerziehend, hat Alice adoptiert, weil sie selbst keine Kinder kriegen kann.

Noch ein Mann, der meint, Verantwortung übernehmen zu müssen für eine Frau - der investigative Journalist Ivan in "Moon Hotel Kabul", 2018, von Anca Damian. Er hat sie in Kabul gelassen, als er von einer Recherche nach Bukarest zurückkehrt, die Übersetzerin Ioana. Die letzte Nacht in Kabul schliefen sie noch zusammen, da steckte sie ihm heimlich einen USB-Stick zu mit Informationen zu finsteren Deals. Als Ivan weg ist, schnitt sie sich die Pulsadern auf, angeblich. Er bringt ihren Leichnam in ihr Dorf, auf der Fahrt hat er Visionen, und die tote junge Frau im Sarg gewinnt eine magische Präsenz. Anca Damian hat als Kamerafrau begonnen und dann selber Filme gedreht, Animation und Dokumentation, gemixt, ihre Filme waren mehrfach in München zu sehen.

Noch ein Film geht über die Grenzen des Landes hinaus, "La Gomera - Fluierătorii/ The Whistlers", 2019, von Corneliu Porumboiu, der dieses Frühjahr in Cannes im Wettbewerb lief und ein bisschen erinnert an den "Laundromat" von Steven Soderbergh. Ein korrupter Cop kommt aus Bukarest auf die Kanareninsel, um die berühmte Pfeifsprache zu lernen, den Silbo Gomero. Auf seinen Spuren führt uns der Film direkt ins Labyrinth des film noir, von "Gilda" bis "Notorious". Ein vertracktes, unergründliches Erzählen nach alter Tradition - auf die sich auch der fiese Vali in "Arrest" beruft, wenn er von "diesem Burschen namens Scheherazade" spricht.

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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