Kammeroper:Krieg den Palästen

Lesezeit: 1 min

Hans Gröning als Lenz vor der Warenwelt, die ihn ausschließt. (Foto: Bettina Stoess)

Wolfgang Rihms "Jakob Lenz" in Nürnberg

Von Egbert Tholl, Nürnberg

Im Programmheft des Staatstheaters Nürnberg findet sich ein schöner Aufsatz des Dramaturgen Georg Holzer. Darin gibt es eine prägnante Beschreibung von des Dichters Jakob Lenz unglücklichem Leben, von seinem Werk und beider Wiederentdeckung durch Georg Büchner. Und es gibt bezüglich seines Verhaltens einen wunderbaren Satz: "Lenz nervte." War überspannt, pleite, stellte sich blöd an, wurde irre. Nun kann einer ein ganz großartiger Dichter sein, auf die Nerven kann er einem dennoch gehen. Ein bisschen was von diesem Aspekt entdeckte auch Wolfgang Rihm für sich, als er vor nun mehr als 40 Jahren seine Kammeroper "Jakob Lenz" schrieb. Das Stück ist in seiner vorbildlichen Dichte und psychologischen Tiefe ein unbestrittenes Meisterwerk des 20. Jahrhunderts, ist zudem gut zu hören. Keine Angst also vor fast noch zeitgenössischer Musik, das hat dann letztlich auch das Nürnberger Publikum so empfunden, als es der Premiere von Tilman Knabes Inszenierung am Staatstheater beiwohnte.

Im Grunde ist die Oper ein Monodram, die zwei anderen Figuren, die sich um Lenz auf der Bühne kümmern, der besorgte Oberlin (Wonyong Kang) und der lebenstüchtige Kaufmann (Hans Kittelmann) sind, trotz guter Präsenz, kaum mehr als Stichwortgeber. Im Grunde passiert hier alles in Lenzens Kopf, dessen Gedanken, Ängste, Beklemmungen die Musik nach außen stülpt, verdeutlicht durch sechs Stimmen, die in Nürnberg einen irisierenden, vokalen Klangraum schaffen.

Aber Tilman Knabe demonstriert mit Lust, Geschick und Konsequenz, dass man hier auch ein Geschehen, Zwänge der Welt erzählen kann. Lenz, der Dichter und die Figur, postuliert unabdingbar Wahrheit, keine Erfindungen. Also lässt Knabe ihn dort leben, wo es nicht schön ist, im Hinterhof der kapitalistischen Warenwelt, unter den Werbetafeln, neben Geldautomaten, die für Lenz nichts mehr ausspucken. Stattdessen flattern Flugblätter aus dem obersten Rang herab, Büchners "Hessischer Landbote", "Friede den Hütten, Krieg den Palästen". Der Nürnberger Lenz ist Hans Gröning, ein Außenseiter, auch unter den Pennern, ein Schmerzensmann, der fast zu schön singt, wie auch Dirigent Guido Johannes Rumstadt eher das Lyrische denn das Krasse an der Musik betont. Gröning lässt mitleben und miterleben, ein vielgestaltiger Mensch, ein souveräner Sänger, Darsteller, Untergeher.

© SZ vom 25.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: