Kabarett:Die Übermutter

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Der Schein trügt: So lieb wie Luise Kinseher mit den Blumen am Hut aussieht, so deftig teilt sie in ihrem Programm "Mamma Mia Bavaria" aus. (Foto: Martina Bogdahn)

Luise Kinseher watscht in ihrem neuen Solo nicht nur Politiker ab

Von Thomas Becker, München

Mei, die Mama. Lieb schaut sie aus in ihrer Tracht, bunte Blümlein im schicken Hut, ein strahlendes, wonnewarmes Lachen im Gesicht. Richtig herzig. Von da kommt auch ihr neues Programm: "Mamma Mia Bavaria". Das zweite Ich als Mutter der bajuwarischen Nation hat sich Luise Kinseher schon vor Jahren zugelegt, und der donnernde Applaus im rappelvollen Lustspielhaus zeigt: Die Menschen lieben sie in dieser Rolle. Es ist nun jedoch eine andere: Mama Bavaria ist nicht mehr die tadelnde Zeigefingerheberin, die den lieben Kleinen von der Kanzel herunter mal kurz die Leviten liest. Sie ist jetzt Vollzeit-Mutti, sozusagen Erziehungskraft 24/7 - da kann man nicht nur schimpfen von morgens bis abends. Was wiederum schade ist, da dieses frech-fiese Derblecken schon lustiger war, als nun zu sehen, wie sich die Kinseherin um ein Gesamtbild der Bayernmutter müht. Klar, draufhauen, wenn auch mit feiner Klinge, macht Laune, beim Draufhauer wie auch beim schadenfrohen Betrachter des verbal Vermöbelten. Mit den Reden am Nockherberg habe sie aufgehört, "weil's nix genutzt hat". Mit dem abendfüllenden Programm, ihrem siebten Solo, sei nun mehr Zeit und Platz, diese Figur mit Leben zu füllen, kündigte sie an. Schließlich sei die Mama Bavaria schon ihre siebte Reinkarnation - und nach gut eineinhalb Stunden denkt man: Wird wohl nicht die letzte gewesen sein.

Los legt sie wie zu besten Prediger-Zeiten: düpiert die neue Nervensäge "Hubsi" Aiwanger ("Bestellt Ministerämter wie Weißwürscht"), watscht die CSU ab ("Glaubt noch an Franz Josef Strauß wie Vorschulkinder an die Zahnfee"), schimpft mit dem "Alpe-Adria-Kasperl" Edmund Stoiber und stellt bei Horst Seehofer gar ihre Mutterschaft in Frage ("Ist das wirklich von mir?"). So weit, so prima. Auf die Wahl-Nachlese folgt ein Exkurs zu den alten Römern, und von da aus ist es nicht mehr weit bis zur Entstehung des ersten Wirtshauses, wo das Bayerische überhaupt erst entstand. Erste Wirtin? Genau: die Mama in einer früheren Inkarnation. Das Wirtshaus, diese aussterbende Rasse, ist für sie die Wiege der Toleranz und der Wahrheit: "Wenn du die bayerische Wahrheit suchst, musst du ins Wirtshaus." Nun ist sie mittendrin im Epizentrum, in einem Feld, wo eigentlich viel zu holen wäre, doch Kinseher erntet nur sporadisch, macht Schlenker über Wohnungsnot und Knödelernte, ärgert sich über ihr Abbild an der Theresienwiese ("Wie ich aussehe! Wie die Mutter der Simpsons!") - und packt mit einem Mal eine Opern-Stimme aus, um loszuschmettern: "Schau hi, da liegt a toter Fisch im Wasser", auf das später eine Art Juchitzer und in der Zugabe noch ein pseudochinesisches Rumgealbere in Liedform folgen - erstaunliche Einlagen.

Auch sonst geht es fröhlich hin und her: von der Evolution des Essiggürkerls über Cyber-Wesen und Einweg-Dirndl bis zur neuen Heimeligkeit und Fluchten vor sich selbst. "Wo geht's hin mit der Menschheit?", fragt sie und weiß auch nur, dass es auf der Welt aussehe wie im Zimmer eines 15-Jährigen. Doch inmitten der Orientierungslosigkeit entwickelt sie einen Plan: neues Wirtshaus, kein Ruhetag. "Ich fang' nochmal von vorne an. Mit euch." Mei, die Mama.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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