Kunstaustellung:Impressionistische Familienaufstellung

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Julie Manet war die Tochter von Berthe Morisot und dem Bruder des Malers Édouard Manet. Eine Pariser Ausstellung würdigt diese Frau, die mehr Begabung für die Nachlasswahrung als fürs Malen hatte.

Von Joseph Hanimann

Sie war Muse und Lieblingsmodell der Porträtmaler, später eine Kennerin, Mäzenin, Gönnerin und so etwas wie Impresaria des impressionistischen Erbes. Julie Manet: eine Figur jener Epoche, oft genannt, wenig bekannt. Die 1878 geborene Tochter der Malerin Berthe Morisot und Nichte von Édouard Manet sowie Schwägerin des Dichters Paul Valéry stand während ihrer ersten zwanzig Lebensjahre im Glanz der Ereignisse zwischen Belle Époque und Fin de Siècle. Die folgenden sechs Jahrzehnte bis zu ihrem Tod 1966 hingegen spielten sich im Familienkreis und im Hintergrund der diskreten Einflussnahme auf die französische Kunstszene ab. In der Existenz dieser Frau spiegelt sich der Impressionismus als eine Familiengeschichte auf dem engen Raum zwischen schicken Pariser Westquartieren, einigen Seine-Ufern flussabwärts, Claude Monets Seerosen-Paradies in Giverny und dem einen oder anderen Schloss im weiteren Umland.

Dem Wirken Julie Manets hat das Pariser Musée Marmottan, in dem sie selbst einst verkehrte, seine neue Ausstellung gewidmet. Es treten neben Édouard Manet und Berthe Morisot in den Hauptrollen auf: Edgar Degas, Auguste Renoir, Maurice Denis, der Dichter Stéphane Mallarmé. Es ist eine eher zeitgeschichtlich dokumentarische als eine kunsthistorische Veranstaltung. Statt verborgene Meisterwerke zu enthüllen oder neue Betrachtungsperspektiven bekannter Bilder aufzuzeigen, will sie vor allem Bildergeschichten erzählen, Sammlungsschicksale beschreiben, Blickwechsel auf einzelne Werke illustrieren. Anekdotisches reiht sich da neben Verwunderliches und oft Aufschlussreiches. Im Mittelpunkt steht die Blüte der impressionistischen Jahre, betrachtet aus dem Blickwinkel einer ins Milieu hineingeborenen Zeugin, die aufschnappte und mitschrieb. Denn die tagebuchführende und malende Julie Manet, deren Bilder hier zum ersten Mal im Zusammenhang ausgestellt werden, verstand sich nicht wie ihre Mutter und ihr Onkel als authentische Künstlerin. Sie malte aus der Gelegenheit und durch die Anregung ihres Milieus. Interessant ist die Schau dann, wenn vorgeführt wird, wie nah die impressionistische Malerei am großbürgerlichen Lebensstil zwischen Salon und inszenierter Natur in Park und Kunstlandschaft gedieh.

Julie, die Tochter von Eugène Manet, dem Bruder des Malers Édouard Manet, war mit ihrem sanft verträumten Blick schon als Dreijährige ein beliebtes Motiv nicht nur für ihre Mutter Berthe Morisot. Auch Renoir malte sie als kleines Mädchen mit der Katze im Arm und später wiederholt als junge Frau. Aufschlussreich ist indessen, wie Berthe Morisot im Unterschied zu den anderen Porträtisten ihre Tochter auf den Bildern selten mit Namen nennt und stattdessen Titel wie "Mädchen im Garten" oder "Mädchen im blauen Kleid" bevorzugt, als sollte ihre Mutterrolle hinter jene der Malerin zurücktreten und das Persönliche des Motivs im Genre aufgehen.

Große Sorgen gab es zunächst kaum im Hause Manet-Morisot. Die Künstlerfreunde gingen ein und aus und auch Eugène gab sich vor allem seiner Neigung zum Malen hin, ohne jedoch besondere künstlerische Ambitionen zu hegen. Kunst war in diesem Kreis eine geteilte Lebensbereicherung. Man strebte nicht unbedingt nach öffentlicher Anerkennung und beschenkte sich einfach gegenseitig mit Bildern.

Nach dem Tod ihrer Eltern war die 16-jährige Julie Erbin eines seit mehreren Generationen angehäuften Vermögens

Nach Eugènes Tod 1893 und dem von Berthe Morisot zwei Jahre später war die sechzehnjährige Julie jedoch plötzlich Vollwaise und als letzter direkter Sprössling der Familie Manet Erbin eines seit mehreren Generationen angehäuften Vermögens. Da etwa zur selben Zeit auch ihre beiden Cousinen Paule und Jeannie Gobillard, die Töchter von Berthe Morisots Schwester, ihre Eltern verloren, zogen diese bei ihr ein und die drei wurden im Bekanntenkreis "das fliegende Geschwader" genannt, immer unterwegs zwischen Künstlerateliers, Landaufenthalten und Reisen in fremde Städte. Paule malte, Jeannie spielte Klavier und schrieb Tagebuch wie Julie. Dies alles geschah unter den wohlwollend wachsamen Augen des Hausfreundes Edgar Degas und des Tutors von Julie, Stéphane Mallarmé. Der Maler und der Dichter hielten auch, als die Zeit ihnen gekommen schien, Ausschau nach geeigneten Bräutigamen. Mallarmé brachte für Jeannie den Dichter Paul Valéry ins Spiel, Degas schlug für Julie seinen einzigen Schüler Ernest Rouart vor. Im Mai 1900 kam es zur Doppelhochzeit. Und für die jungen Frauen begann ein neues Leben im Familienkreis, bald mit Kindern.

Damit hätte die Geschichte zu Ende sein können. Julie hatte längst erkannt, dass in ihren eigenen Kinderporträts, Gartenszenen, Landschaften und Stillleben, obwohl oft mit demselben Anschein des Unfertigen wie bei Berthe Morisot gemalt, ihr Talent nicht an das ihrer Mutter heranreichte. Und auch ihr Gatte Ernest Rouart, der sich statt der Übernahme des väterlichen Unternehmens der Malerei zugewandt hatte, suchte keine Bestätigung als Künstler in Galerien und Museen. Man malte in diesen Kreisen ziemlich absichtslos, wie man im entsprechenden Milieu des Ancien Régime literarisch miteinander verkehrte. Doch kam im Fall von Julie Manet etwas Neues hinzu, das die weiteren sechzig Jahre ihres Lebens ausfüllte. Es macht den zweiten interessanten Aspekt der Pariser Ausstellung aus.

Die Wände auf der vierten Etage des Hauses Rouart-Manet in der Pariser Rue de Villejust waren vollgehängt mit Werken, deren Porträtierte teilweise auch lebendig in den Räumen verkehrten. Dieses bürgerliche Unter-sich-Sein suchte Julie im Namen der künstlerischen Universalität zu durchbrechen. Sie setzte sich dafür ein, durch Schenkungen das Werk ihrer Mutter in die Museen zu bringen. Montpellier, Toulouse oder das Petit Palais in Paris nahmen Werke der Impressionistin in ihre Sammlungen auf, Lyon erwarb eine "Paysanne niçoise". Und als 1912 Henri Rouart, Julies Schwiegervater, Inhaber einer bedeutenden Kunstsammlung des 18. und 19. Jahrhunderts, starb, erhielt der Sog zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit zusätzlichen Elan. Wegen familiärer Uneinigkeit wurde die Sammlung Henri Rouarts versteigert und Julie bemühte sich mit ihrem Mann Ernest, so viel wie möglich von den Bildern zurückzukaufen. Rund 40 Werke von Fragonard, Hubert Robert, Delacroix, Corot, Honoré Daumier fanden so den Weg in ihre Sammlung und von dort teilweise weiter, als Schenkung, in den Louvre.

Die Rolle des Privatsammlers als Partner der langsamer mahlenden Mühlen der öffentlichen Museen gewann hier ein neues Profil. Symptomatisch dafür ist etwa das Bild "La Dame aux éventails" von Édouard Manet aus dem Jahr 1873. Berthe Morisot hatte es kurz nach dem Entstehen erworben mit der Absicht, es dem Louvre zu vermachen, denn dort gehörte es ihrer Ansicht nach hin. Angesichts des Skandals um Manets "Olympia" verzichtete sie jedoch einstweilen darauf und behielt es für sich. Erst ein halbes Jahrhundert später war die Zeit reif für die Schenkung. 1930 übergab ihre Tochter Julie die "Dame mit den Fächern" von Manet dem Louvre, von wo das Bild wiederum ein halbes Jahrhundert später in die Sammlung des Musée d'Orsay wechselte.

Das 1934 in den Besitz der Académie des Beaux-Arts übergegangene Musée Marmottan wurde 1966 nach dem Tod von Michel Monet auch Nachlassinhaber für dessen Vater Claude Monet und beherbergt seither den weltweit größten Fundus dieses Impressionisten. 1996 vermachten ihm die Kinder von Julie Manet mehrere Dutzend Werke von ihrer Großmutter Berthe Morisot. Somit ist das Museum nun zugleich das Haus dieser impressionistischen Künstlerin. Mit seiner Ausstellung würdigt es in anmutig anhänglicher Weise eine Figur, die mehr als mit dem Pinsel mit ihrer Sensibilität und ihrem Organisationstalent dem Erbe des Impressionismus diente.

Julie Manet. La mémoire impressionniste. Musée Marmottan Monet. Bis 20. März 2022. Katalog 45 Euro

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