Opernpremiere:Magische Opernklamotte

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Herbert Fritschs Neuinszenierung von Rossinis "Il barbiere di Siviglia" an der Wiener Staatsoper ist ein gelungenes Spektakel. Das hätte man von dieser angestaubten Komödie nicht erwartet.

Von Helmut Mauró

Die Begeisterungsfähigkeit des Wiener Publikums kennt Grenzen, man bewahrt auch hierbei Contenance. Diesmal aber brachen schon nach der Ouvertüre die ersten Dämme. Jubel und Ovationen galten aber nicht dem Stück, Gioachino Rossinis "Il barbiere di Siviglia", denn es hatte noch gar nicht begonnen, wahrscheinlich auch nicht nur der Musik, sondern auch dieser verspielten Bebilderung aus mäandernden, weißen geometrischen Flächen, Rechtecken und Trapezen, die dann durch farbige abgelöst wurden, um am Ende des Vorspiels wieder in Weiß und Grau zurückzukehren. Eine durchaus musikalische Angelegenheit, die in enger Verbindung zur Form der Ouvertüre stand und gerade durch die Zurückhaltung im Unkonkreten die Vorstellungskraft des Zuschauers maximal anfachte.

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Wie Regisseur Herbert Fritsch diese Vorstellungskraft des Publikums dann aktiv nutzt, das ist das Besondere und eigentlich Überraschende. Denn was nach der Ouvertüre folgt, ist nicht nur ein großer Rausch an intensiven Farben - umgesetzt in riesigen Stoffbahnen, die vom Schnürboden hingen und sich zu immer neuen Farb- und Formkombinationen fügen. Manchmal ergeben sich rahmenartige Strukturen, wie man sie von den Bildern Piet Mondrians kennt, manchmal verlebendigen sich die Farbflächen zu steter Bewegung und verlaufen sich in ein Vexierspiel, das munteren Schwindel erzeugt. Etwa in der leider etwas langatmigen Szene mit Rosina als Gesangsschülerin, in der ihr eifersüchtiger Vormund Doktor Bartolo von dem ebenfalls auf eine Hochzeit mit dem Mündel hoffende Graf Almaviva in willenlose Trance verzaubert wird.

Dass Juan Diego Flórez als Almaviva so viel schauspielerische Komik entwickeln würde, verblüffte und ist sicherlich Regisseur Fritsch zu verdanken. Denn nicht nur Flórez, sondern alle Sängerinnen und Sänger - durchweg stimmlich hervorragend - entfalteten an diesem Abend schauspielerische Qualitäten, wie man sie in einer Oper kaum je zu sehen bekommt. Entweder wird gnadenlos übertrieben, oder man wird genötigt, dem quälend verunglückten Seelenstriptease sehr guter Musiker beizuwohnen. Und wenn es dann auch noch um Humor geht, wird es ganz heikel. Denn die meisten Musiker halten sich grundsätzlich für witzig und den Regisseur für entbehrlich bis hinderlich.

Neben Flórez erwies sich nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich der kanadische Bariton Étienne Dupuis als Star des Abends. Seine fulminanten Auftritte, seine Selbstironie beim Entgegennehmen lautstarken Zwischenapplauses, vor allem aber seine enorme Stimmkraft machten Eindruck. Vasilia Berzhanskaya arbeitete sich hingegen erst nach und nach in die Rolle hinein, in der sie am Ende ebenso glänzte. Gleiches gilt für die hervorragende und charmant stimmschöne Nebendarstellerin Aurora Marthens als Berta. Paolo Bordogna als Bartolo und Stefan Astakhov als Fiorello ergänzten das Spitzenensemble kongenial. Die mörderischen Koloraturen, die nun mal Kern des Rossini-Gesanges sind, bewältigte Flórez vielleicht am elegantesten, aber niemand hatte hörbare Probleme damit.

Gleichzeitig muss man dem Dirigenten Michele Mariotti zugutehalten, dass er sich nicht nur aufs Zirzensische dieser beinahe schon klischeehaften italienischen Opernmusik stürzte, sondern auch die oft etwas unterbelichtete Seite Rossinis hervorhob: das immer wieder hereinbrechende schlicht Melodische, den Klang der Innerlichkeit, des Verträumten, der Enttäuschung, des Menschlichen. Darin hatte Flórez seine größten Momente, das liegt dem lyrischen Tenor mit heldisch strahlender Höhe ganz besonders. Und selbst wenn er dabei intonatorisch ein klein wenig unsicher wird, so bewegt sich das in einem engen Rahmen, innerhalb dessen solcherlei Abweichung als charmanter persönlicher Ausdruck gehört werden kann.

Denn auch dies gehört zum genialischen Regiegefühl von Herbert Fritsch: Wie er die Figuren dieser etwas angestaubten Komödie einerseits zu steifen, mitunter slapstickhaft agierenden Typen in erlesenen Kostümen abstrahiert, sie als perfekte Komödianten virtuos aufspielen lässt, dann aber doch der Musik genügend Raum lässt, dass sich die Charaktere dort, ebenso zwischen Typisierung und Individualisierung changierend, scheinbar menschlich offenbaren. Diese Theatermagie beherrschen bei Weitem nicht alle Regisseure, aber wo sie herrscht, ist man sofort verzaubert. Selbst die schwächere zweite Hälfte der Oper mit ihren Längen wird so erträglich, am Ende sogar wieder fulminant einleuchtend. Und wenn Basilio erklärt, wie Verleumdung und Intrige am wirkungsvollsten funktionieren, fühlt man sich gar in einem hochaktuellen Stück.

Nicht vielen Künstlern gelingt der Umstieg von ihrer angestammten Sparte in eine andere. Gerade im Musikbereich erlebt man häufig Enttäuschungen, wenn es große Sänger ans Dirigierpult drängt oder in die Regie. Bei Herbert Fritsch liegt der Fall anders. Von Anfang an hat er sich nicht für das aktive Schauspielern interessiert, sondern entwickelte zugleich sein Talent als Medienkünstler und Filmemacher - beides sehr erfolgreich. Dass er nach seiner Zeit an der Berliner Volksbühne ins schauspielerische Regiefach wechselte, erschien unmittelbar plausibel. Dass er aber auch im Opernfach reüssieren könnte, schien eher abwegig zu sein. Auch wenn seit den Achtzigerjahren, seitdem immer wieder Schauspielregisseure für Opernproduktionen engagiert wurden, oft herausragende Musiktheater-Arbeiten entstanden. Aber so umfassend, wie Herbert Fritsch diese Aufgabe versteht, erlebt man die Umsetzung dann doch selten. Ovationen.

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