John le Carré zum 80.:Vom Spion zu Constantias Liebhaber

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Er war ein Geheimdienst-Mann. Dann flog er auf - und schrieb fortan Bücher über scheiternde Agenten und die Nostalgie des Geheimdienstes. Seine Werke sind Welterfolge. Jetzt wird der britische Schriftsteller John le Carré 80.

Franziska Augstein

Auf der Frankfurter Buchmesse war eine brauchbare Definition des Unterschieds zwischen ernsthafter Literatur und Unterhaltungsliteratur zu hören: Der Leser von U-Büchern liest weiter, weil er wissen will, wie die Geschichte ausgeht; in der ernsthaften Literatur hingegen sind die Darstellung und die Figuren wichtiger als die Geschichte.

Der britische Schriftsteller John le Carré feiert einen runden Geburtstag - seinen 80. (Foto: dapd)

Nach dieser wunderbar-deutschen Definition ist David Cornwell ein E-Schriftsteller. Nicht wenige Leser haben seinen Roman "Ein perfekter Spion" bald aus der Hand gelegt, weil sie sich anfangs über der Kindheit des Helden aufhalten müssen und das Buch nicht umgehend Anstalten macht, "spannend" zu werden. Andere beschweren sich: John le Carrés Romane seien zu kompliziert, die einzelnen Figuren zu umfassend geschildert. Hinzu kommt: Wie die Geschichten ausgehen, kann sich jeder denken, der le Carré kennt: Die Helden und ihre gute Sache scheitern; sie müssen scheitern. Der Weg zur fürchterlichen, beschämenden Niederlage ist mit gut gemeinten Verrätereien gepflastert. Ob "U" oder "E" - John le Carrés Geschichten sind Tragödien im klassischen Sinn des Worts.

Für ein Happy-End war David Cornwell nicht prädestiniert. Seine mutterlose Kindheit in den Händen eines gesellschaftlich ambitionierten Gauner-Vaters war so unglücklich, dass er sich mit 16 Jahren, 1947, auf eine Schule in die Schweiz expedierte, um seinem Vater zu entkommen. Die Berlin-Blockade beobachtete er von Bern aus. "Die Jungs, die 1945 Berlin bombardiert hatten", sagte er im Gespräch mit der SZ, "flogen 1948/49 die Rosinenbomber".

Für ihn war das mehr als eine paradoxe Koinzidenz: "Es hat etwas furchtbar Trauriges." Das sah man in seinem Umfeld in jenen Jahren gar nicht so. Die Kameraden beim britischen Nachrichtendienst in Österreich, wo er seine Militärzeit ableistete, und die Kollegen vom Geheimdienst, für den er dann arbeitete, fanden es nur natürlich: Erst hatte man den einen Feind bekämpft, die Nazis, und nun bekämpfte man halt den neuen Feind, die Kommunisten. Cornwell war nie Kommunist. Was war traurig daran, dass man wechselnde Feinde bekämpfte?

Die Antwort auf diese Frage führt ins Allerinnerste von David Cornwells Selbstverständnis. Seine ungeordnete, einsame Kindheit hatte ihn in ein weltpolitisch chaotisches Leben entlassen, wo es keine festen Prinzipien gab und machtpolitische Erwägungen der Moral den Ton vorgaben. Seine Arbeit für den britischen Nachrichtendienst gab Cornwell Halt. Er sagte sich: "Diese Organisation wird mir helfen, mich vor mir selbst zu retten." Von dieser Organisation - idealiter von der ganzen Welt - erhoffte der junge Mann, dass sie die Gemeinheiten und Widersinnigkeiten der Kriegszeit hinter sich lasse, dass nun politische Berechenbarkeit und Sittlichkeit einsetzten. David Cornwell kam es auf Beständigkeit an. Mochte er in seinem damaligen privaten Leben der allegorischen Figur Constantia nicht huldigen, so war die Idee, die sie verkörpert, ihm in der Politik und seiner Arbeit doch sehr wichtig. Aber niemand in seiner Umgebung verlor ein Wort darüber, dass die Rosinenbomber-Piloten wenige Jahre zuvor Berlin in Schutt und Asche gelegt hatten.

Pragmatisch-politische Heuchelei ist David Cornwell widerwärtig. "Die vielen alten Nazis in hohen Funktionen der neuen Bundesrepublik: das hat mich angeekelt", sagte er der SZ, "natürlich, man musste die Zivilgesellschaft, die Deutschland nicht gehabt hatte, am Laufen halten. Aber in Kombination mit dem rigiden Antikommunismus war das äußerst unangenehm anzuschauen. Wie rasend schnell alte Nazis vom britischen und vom amerikanischen Geheimdienst aufgenommen wurden, empfand ich als entmutigend." Seine Geheimdienstkollegen meckerten nicht über die neuen Zustände, aber alle verehrten die Chefs, die vor 1945 tätig waren. Nostalgie machte sich breit, sie wird in le Carrés Büchern farbig beschrieben. "Vor dem Krieg", sagt Cornwell, "hatten wir einen echten Feind. Wir spionierten gegen die Nazis. Das verlieh uns enormes Ansehen."

Er ist noch bei dem legendären Max Knight in die Lehre gegangen, der nach dem Krieg weiter für den MI5 tätig war, eines der Vorbilder für "M" in den James-Bond-Romanen von Ian Fleming abgab und sich als Naturkenner hervortat. Als junger Spion hat Cornwell für ihn etliche Skizzen von Fauna und Flora gezeichnet.

1956 ging Max Knight in den vorzeitigen Ruhestand. Es war das Jahr der Suez-Krise. Britannien und Frankreich wollten sich als Weltmächte aufspielen und den Ägypter Nasser stürzen. Das war den USA zuviel und David Cornwell erst recht. "Wenn man merkt, das eigene Land, die eigene Regierung verdienen es nicht, dass man sich für sie engagiert: Das ist sehr schmerzhaft." Es war nur eine Frage der Zeit, bis er den Dienst quittieren beziehungsweise auffliegen würde. Tatsächlich wurde er verraten und auf einen risikolosen Posten nach Hamburg versetzt.

Sein erstes Buch erschien 1960. Er hatte das Manuskript zuvor von seinem Arbeitgeber kontrollieren lassen. Erst sein drittes Buch, "Der Spion, der aus der Kälte kam", wurde 1963 ein Welterfolg. Als er wusste, dass er seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller verdienen könnte, gab er seine Anstellung beim britischen Nachrichtendienst auf.

Seit einigen Jahrzehnten lebt er nach den Begriffen der Constantia. Auf seinem Anwesen in Cornwall findet er in Gesellschaft seiner Frau Jane ausgeglichene Stetigkeit. Wenn es ihm gar zu bunt wird, meldet er sich zu Wort. Als die USA 2003 den Irak-Krieg begannen, erklärte er die US-Regierung für "verrückt". Auch von der jetzigen britischen Regierung hält er gar nichts: "Der obszöne Unterschied zwischen Reich und Arm" werde von ihr noch befördert. Im Lauf der Zeit hat David Cornwell sich der Constantia angeglichen. So wie sie hält er in der einen Hand eine Fackel, mit der er politischen Übeltätern heimleuchtet. So wie sie hält er in der anderen Hand ein Füllhorn. Seine Leser hoffen, dass daraus noch viele neue Bücher auf sie kommen.

© SZ vom 19.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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