Jazz:Wucht, Freiheit, Unplanbarkeit

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Das "Michael Wollny Trio" im Prinzregententheater

Von Oliver Hochkeppel, München

Michael Wollny hat unlängst im Feuilleton dieser Zeitung einen luziden Artikel über seine Rolle als Jazzpianist geschrieben. Zentraler Punkt war dabei die Herausforderung durch das Unplanbare, das nur bedingt kalkulierbare Zusammenspiel zwischen Musikern, Publikum und Raum im konkreten Moment - weshalb eben Konzerte ein und derselben Musiker misslingen oder Sternstunden werden können. Mit dem Auftritt seines Trios im Prinzregententheater dürfte Wollny zufrieden gewesen sein. Das konnte man schon zu Beginn seinen leuchtenden Augen entnehmen, als er ein improvisiertes Frage- und Antwortspiel mit dem Bassisten Christian Weber anzettelte. Und am Ende dem Umstand, dass er, Weber und Schlagzeuger Eric Schaefer nach 90 Minuten ohne Pause dem entfesselten Publikum eine dritte Zugabe gewährten. Was aber begeisterte die Zuhörer derart?

In erste Linie war es wohl dieses totale Musizieren, das Wollnys Trio vorlebt. Natürlich haben die drei ein Repertoire, aber abgespult wird hier nichts. In jedem Moment kann sich alles verändern, wird der sichere Grund einer Melodie oder eines Rhythmus von einem verlassen, und die anderen folgen ihm. Was nur geht, weil die drei außer herausragender Technik und bezwingender kreativer Fantasie auch absolutes Vertrauen ineinander besitzen. Ein begründetes Vertrauen, verfügt doch jeder über den Zugriff auf die gesamte Musikgeschichte, der für dieses Trio so entscheidend und besonders ist. Das zeigt sich schon in den nahtlos und oft spontan zu Konzertblöcken verschmolzenen Stücken: Eine Mahler-Paraphrase oder eine Hindemith-Interpretation treffen da auf Filmmusik von Scott Walker, Popsongs, einen Jazz-Standard, die wilden Eskapaden des früheren Trio Em (ein Hit ist immer noch Schaefers "Phlegma Fighter") oder mal breitflächigen, mal minimalistischen Wollny von den neuen Alben "Oslo" und "Wartburg".

Weber kann dabei den Bass ebenso wohlig warm wie stahlhart klingen lassen, gerne auch con arco. Schaefers Schlagzeugspiel ist ebenso filigran wie fiebrig, kann jedes Tempo mitgehen und hat nicht nur wegen seiner vielen Gongs eine stoische asiate Note. Michael Wollny schließlich bindet jede denkbare Piano-Stilistik in seine Neoromantik ein. Das Form- und Tonverständnis der Klassik trifft auf die Wucht des Rocks und die Freiheit des Jazz. Was sonst gerne in schalem Eklektizismus erstarrt, erhebt sich hier zu einer in sich ruhenden neuen Triomusik. Bequem ist die nicht. Kaum hat man es sich mit einer Melodie gemütlich eingerichtet, hat man sich in einen Groove fallen gelassen, kommt die nächste Überraschung, kommt ein Wagnis, das einen mitunter körperlich erschüttert und mitreißt. Aber mehr von dem, was Musik in einem auslösen kann, bekommt man selten.

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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