Jazz:Sprung ins Ungewisse

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Einer der Großen unter den Postbop-Saxofonisten: Joe Lovano. (Foto: Katz)

Dave Douglas und Joe Lovano begeistern in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel, München

Bei den meisten Jazzkonzerten wird heutzutage hinterher diskutiert, ob oder inwieweit das Gehörte überhaupt Jazz gewesen sei. Was ja nur davon zeugt, dass sich in dem Genre unglaublich viel tut und die nachrückenden Generationen wirklich Neues ausprobieren. Nach dem jüngsten BR Jazzclub-Konzert in der Unterfahrt am vergangenen Freitag freilich war diese Frage kein Thema: Mehr Jazz - nach allen verfügbaren Kriterien - als das geht nicht, was Sound Prints da zelebrierte, jenes Weltmeister-Quintett des Trompeters Dave Douglas und des Saxofonisten Joe Lovano, beide Superstars ihres Fachs, die vermutlich mehr der in den USA so beliebten Kritiker- und Publikumsumfragen für sich entschieden haben, als die Unterfahrt Plätze hat. Aber anders als viele, die sich auf dem bewährten Terrain des Postbops und Modern Jazz bewegen, gelang ihnen hier etwas wirklich Eigenes, ja eben auch "Neues".

Das lag zum einen daran, dass Douglas und Lovano diese seit 2011 bestehenden Band dem Geist und den Kompositionen ihres verehrten Freundes Wayne Shorter gewidmet haben, der nun eben immer noch einer der Innovatoren des amerikanischen Jazz ist. So überzeugend auch für ihn übrigens, dass er ihnen immer wieder neue Stücke schreibt. Zum anderen liegt es daran, dass die beiden wirklich ins Risiko gehen. Schon die Arrangements sind ein flirrender Kosmos ungewöhnlicher und überraschender Einfälle, und innerhalb dieses Rahmens lassen sie improvisatorisch die Zügel schießen. Das ist dann für den Ellingtonesken, im Harlem-Melos schwelgenden Titelsong der neuen CD "Scandal" ebenso eine Vitalkur wie für das Garneresk zwischen Latin- und Swing-Rhythmik hin und her hopsende "The Corner Tavern" oder die vor Doppelungen, Brechungen und Wechseln strotzende Version des alten Shorter-Stücks "Fee Fi Fo Fum".

Der entscheidende letzte Baustein ist freilich die Rhythmusgruppe, die sich die beiden zusammengesucht haben. Pianist Lawrence Fields, Bassistin Linda Oh und Drummer Joey Baron - jeder für sich auch ausweislich einiger überirdischer Soli ein Musiker in einer eigenen Liga - wären vermutlich nie auf die Idee gekommen, es miteinander zu probieren, so unterschiedlich sind eigentlich ihre Stilistiken: Fields ein lyrischer Minimalist, Oh eine wuchtige Straight-Ahead-Antreiberin, Baron ein verspielter Experimentator. Doch gerade diese Vervielfältigung der Möglichkeiten fing jeden tollkühnen Sprung von Douglas und Lovano sicher ab. Sodass am Ende des wegen der Live-Übertragung sehr fortgeschrittenen Abends der Jubel groß und berechtigt war.

© SZ vom 14.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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