Jazz:Lohnende Anstrengung

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Beim Festival in Saalfelden dominiert das Sperrige und Spröde

Von Oliver Hochkeppel, Saalfelden

Oft liegt das Gute tatsächlich näher, als man glaubt. Wobei jeder richtige hiesige Jazzfan weiß, dass er Ende August ins gerade mal 150 Kilometer südwestlich von München gelegene österreichische Saalfelden muss. Gehört doch das dortige Jazzfestival seit langem zu den interessantesten und wichtigsten in Europa. Zum 37. Mal fand es heuer statt, streng genommen war es aber das Zehnjährige neuer Zeitrechnung. Denn 2004 endete das Spektakel mit einem Finanzskandal; daraufhin fiel es im Folgejahr ganz aus, und zum Neustart 2006 wurde nicht nur der Verein Zentrum Zeitgenössischer Musik durch den Tourismusverband Saalfelden als Veranstalter und der im vergangenen Jahr gestorbene Gründungs-Programmchef Gerhard Eder durch ein Team um die neuen Intendanten Michaela Mayer und Mario Steidl ersetzt, es ging für die großen Konzerte auch vom riesigen Zelt in den Saal des Kongresszentrums.

Und auch die programmatische Stoßrichtung verschob sich ein bisschen: Suchten die Festivalmacher bis dahin die avantgardistische Jazzelite zuallererst unter afroamerikanischen Musikern, so sind mittlerweile die Europäer zahlenmäßig vorne - was sich mit der Entwicklung des Jazz in den vergangenen Jahren deckt. So oder so ist Saalfelden ein Leuchtturmfestival geblieben: Als Stelldichein der jungen wie alten Taktgeber der Szene, mit sorgsam ausgesuchten Bands, die, anders als sonst vielerorts, nicht aus den Tourkalendern zusammengekauft wurden. Als Besucher darf man freilich kein Wohlklang-Weichei und Schmuse-Schnupperhörer sein. Saalfelden ist anstrengend, schon weil 31 Konzerte an vier Tagen eine Menge Holz sind, am Samstag etwa ging es nahezu durchgehend von neun bis zwei Uhr im Eineinhalbstundentakt zur Sache.

Das Sperrige und Spröde kommt hier mehr zu seinem Recht als anderswo. "Das mehr oder weniger offensichtliche Wesen aller Ensembles des Festivals ist, eine Form von Widerständigkeit zu kultivieren: Über die Begrifflichkeit, die infrage gestellt wird, über eine inhärente politische Haltung oder nicht zuletzt über die experimentelle Auflösung musikkultureller Gewissheiten", formuliert es Intendant Mario Steidl. Tatsächlich war auch heuer keine einzige Band stilrein. Angefangen mit Shake Stew, dem Septett des jungen österreichischen Bass-Senkrechtstarters Lukas Kranzelbinder - er eröffnete in anderer Formation im Juni bereits das Südtirol-Festival -, das zum Auftakt die traditionelle Auftragskomposition aufführen durfte: Mit zwei Bässen und zwei Schlagzeugern inszenierte Kranzelbinder ein intelligentes Vexierspiel mit der Tradition, gerahmt von zwei wunderbaren Alpen-Gospel-Stücken.

Nach dem gelungenen Auftakt folgten Schlag auf Schlag Formationen, die nicht nur bei der immer sinnloseren Frage polarisieren, ob das noch Jazz sei. In der subjektiven Sicht des Kritikers etwa überzeugte das österreichische Trio Edi Nulz mit seinen kunstvoll umspielten Basismotiven aus dem kollektiven Gehör - auch wenn dies selten jazzig, öfter mal rockig, funky oder mit Country-Anleihen, und mit rigiden Wechseln passierte. Während das Trio Chiri mit dem exotisch-befremdlichen koreanischen Sänger und den Australiern Scott Tinkler an der Trompete und Simon Barker am Schlagzeug das Klischee vom nicht funktionierenden Austausch fremder Musikkulturen befeuerte.

Dass Saalfelden eine Plattform der aktuellen Trends und der jungen Avantgarde ist, bedeutet eben auch, dass eine Menge Musik am Start ist, die mehr Arbeit als Spaß macht - den Musikern wie dem Publikum. Ob das nun die nervöse Dauerdramatik mit viel Gefrickel des US-Trompeters Daniel Rosenboom war - er verdient ansonsten gutes Geld mit Hollywood-Blockbuster-Soundtracks -, oder der stets im roten Drehzahlbereich dahinbretternde Jazz-Hardrock-Overkill der Norweger von Krokofant, dann die etwas ziellosen Ethno-Sounds des norwegischen Fidlers Erlend Apneseth oder der - gerade für so junge Menschen - erstaunlich altbackene Keine-Gnade-Freejazz der portugiesischen Trompeterin Susana Santos Silva.

Dagegen rettete sich die Hochdruck-Fusion des amerikanischen Allstar-Quartetts Human Feel durch individuelle Klasse - ihre Musik freilich stand für das Erreichte, nicht für das Kommende. Wie Balsam wirkte da das Aufeinandertreffen des jungen französischen Sopransaxofonisten Emile Parisien mit den Avantgarde-Doyen Joachim Kühn und Michel Portal: Da bekamen Melodien mal Raum und Rhythmik einen ganz eigenen Sog. Oder das freilich noch ebenso entwicklungsfähige neue Allstar-Quartett des Schweizer Vokalartisten Andreas Schaerer wie auch das etwas brave Quartett der Cellistin Tomeka Reid. Doch was auch immer, einen wahren Musik-Liebhaber lässt in Saalfelden wenig kalt.

© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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