Jazz:Kluge Mischung

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Eine sichere Bank: Gregory Porter gehörte zu den Stars bei den Ingolstädter Jazztagen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Mit 5000 Besuchern gehört Ingolstadt zu den wichtigen Festivals in Deutschland

Von Oliver Hochkeppel, Ingolstadt

Fast überall, Ingolstadt ist da vermutlich keine Ausnahme, wissen Kommunalpolitiker nicht recht zu schätzen, was sie an ihren Kulturveranstaltungen haben. Dabei sollte sich gerade jetzt herumgesprochen haben, dass die Welt der Excel-Tabellen, Rechenschieber und Registrierkassen nicht die allein selig machende ist. Kultur ist der Klebstoff für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft. Oder um es ganz konkret zu formulieren: An das Konzert von Ghost-Note bei den Ingolstädter Jazztagen, was sie dabei erlebt und gefühlt, wen sie getroffen haben, daran werden sich die meisten Besucher noch erinnern, wenn sie schon lange nicht mehr wissen, welches Smartphone sie damals hatten oder was der Stadtrat in diesem Jahr beschlossen hat.

Seit 35 Jahren gibt es die Jazztage nun schon, und in den 23 Jahren unter seiner Leitung hat Jan Rottau sie zu einem der A-Festivals in Deutschland gemacht, dank einer cleveren Mischung aus Mainstream, großen Namen und aufstrebendem Nachwuchs. Natürlich auch dank der Förderung durch die Stadt und Sponsoren wie der Stadtsparkasse, Herrnbräu, Audi und dem NH Hotel, das mit den drei "Partys" ein vielleicht von außen nicht schöner, aber innen äußerst zweckmäßiger und einzigartiger Festival-Mittelpunkt geworden ist.

Nach Präliminarien wie einem "Konzert im Dunkeln" des norwegischen E-Gitarristen Eivind Aarset, der traditionellen Eröffnung mit der Verleihung des Ingolstädter Jazzförderpreises - der heuer an den jungen Posaunisten Carsten Fuss ging - oder dem erbaulichen südafrikanischen Chor Ladysmith Black Mambazo in der Piuskirche ging es dort mit Candy Dulfer als Gast der "Welcome Party" richtig los. Die niederländische Soul-Jazz-Veteranin und Prince-Weggefährtin ("When I want Sax, I call Candy", soll der einmal gesagt haben) führte einen zurück in die Achtzigerjahre, als am Ende in jedem Werbespot klebrig schwere und den Rock-Gitarren-Solo-Exzessen vergleichbar überbordende Saxofon-Soli erklangen. Weil man das inzwischen nur noch selten hört, freute man sich, es einmal höchst virtuos wieder zu erleben.

Eine ähnliche Stoßrichtung hatten die zwei Jazzpartys: Fusion hieß das Zauberwort. Mit der dänischen Bassistin Ida Nielsen war noch ein eher Jazz-ferner Prince-Zögling am Start, sie freilich hatte ein paar neue Nummern im Programm, die in Tempo und Rhythmik durchaus zeitgemäß klangen. Die E-Bass-Festspiele gingen mit der charismatischen jungen Polin Kinga Glyk und dem vielseitigen Grammy-Gewinner Chris Minh Doky weiter. Vielleicht war es gar nicht schlecht, dass Nik West, Titelfigur des kleinen Programmheftes und eine weitere Prince-Bassistin, abgesagt hatte. Die dafür aufgebotene Australierin Sarah McKenzie lieferte zwar einen etwas arg braven Cocktail-Jazz, was aber - zusammen mit dem stark an Gregory Porter erinnernden Londoner Sänger Myles Sanko - inmitten des übermächtigen Jazzrocks eine Insel der Erholung abgab. Herausragend waren dabei Ghost-Note, die Band des Drummers Robert Sput Searight und des Tastenmannes Nate Werth aus dem Snarky Puppy-Dunstkreis. Mit atemberaubenden Verschiebungen der sich stets wie aus dem Nichts anschleichenden Rhythmen und verwegenen Bläser-Licks zelebrierten sie Fusion 3.0 - eine Wachablösung, wie man bei den anschließenden, vergleichsweise altbacken wirkenden Veteranen von Incognito feststellen konnte. Weil die prägenden Figuren aller Bands anschließend bei den wieder exzellenten - dank der engen Verbindung zum New Orleans Heritage Festival von dort verpflichteten - Late Night Musicians einstiegen, konnte man schließlich noch eine wirklich aufregende Jamsession erleben.

Nimmt man die großen Einzelkonzerte von Jan Garbarek, Gregory Porter und Caro Emerald dazu, ging Jan Rottau mit dem diesjährigen Programm vielleicht einen Tick zu stark auf Nummer sicher. Als Jazzfan hätte man sich die eine oder andere Überraschung mehr gewünscht, den einen oder anderen von den so vielen jungen Wilden, die gerade das ganze Genre neu definieren. Was nichts daran ändert, welche Bedeutung dieses Festival hat. Für die Sozialisierung des Helferteams, für die Glücksgefühle der 5000 Besucher wie als überregionale Werbung für Ingolstadt. Das könnte man sogar irgendwie beziffern. Sollte man aber nicht.

© SZ vom 15.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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