Jazz:Brückenschläge in Burghausen

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Schwelgen in Melodik: Der Trompeter Markus Stockhausen und die Klarinettistin Tara Bouman definieren den Raumklang neu. (Foto: Robert Banfic)

Genres und Kunstformen fusionieren bei der Premiere des Musikfestivals "Look Into The Future"

Von Oliver Hochkeppel, Burghausen

Ganz am Schluss, beim letzten Konzert des neuen "Look Into The Future"-Festival in Burghausen, gab es dann zunächst keinen Blick in die Zukunft, sondern olle Kamellen. Das strukturlose Klanggewitter des türkischen Baglama-Spielers (das ist die türkische Laute) Kemal Dinç und des griechischstämmigen Klavier-Improvisators Antonis Anissegos hätte jeder Freejazz-Veteran aus den frühen Siebzigerjahren ähnlich hinbekommen. Erst als Dinçs Schüler Barış Kadem einstieg und Dinç sich auch sonor singend begleitete, konnte man hören, aus welchen volksmusikalischen Quellen sich dieses Aufeinandertreffen speist. Da wurde es dann ein Fingerzeig für die Dialektik von Globalisierung und Bewahrung der traditionellen Kulturtechniken, die auch in der Musik ein großes zukunftsweisendes Thema ist.

Ihm wie den Musikern kam man hinterher im Künstlergespräch nahe - wie schon zuvor bei jedem Konzert: Dank der feinfühligen, eloquenten und immer das Publikum einbindenden Moderationen des Journalisten und Pressesprechers der Hamburger Elbphilharmonie Tom R. Schulz konnte man eine Menge über den kreativen Prozess des Musikmachens, über die Wege der Protagonisten in die Kunst wie ihrer Werke in die Gesellschaft lernen. Denn darum ging es bei dieser mit dem Motto "Transcending" überschriebenen Festival-Erstausgabe, die sich die Brüder Johannes Tonio und Cornelius Claudio Kreusch ausgedacht hatten und nun omnipräsent über die Bühne brachten: um Brückenschläge zwischen Genres und Kunstformen und um die vertiefte Begegnung zwischen Künstler und Publikum. Mit dem besonderen Ort des erst seit Kurzem durch Renovierung und Ansiedlung der TU München wiedererweckten Klosters Raitenhaslach gewissermaßen als Katalysator.

Was zumeist erstaunlich gut funktionierte. Ob beim modernen Klezmer zum Auftakt mit dem (für den kurzfristig ausgefallenen Giora Feidman eingesprungenen) David Orlowski Trio - obendrein eine Art Abschiedskonzert, weil sich das Trio nach 21 Jahren im Herbst auflösen wird. Oder bei der Premiere des Jazzgipfels von Cornelius Claudio Kreusch und Klaus Doldinger im improvisierenden Duett. Beides inmitten der eindrucksvollen Barockpracht der großen Klosterkirche. Oder bei der mutigen Kombination von Bach und Brass durch die klassische Geigerin Doris Orsan sowie der den Begriff Raumklang neu definierenden, in Melodik schwelgenden Intuitivmusik des Trompeters Markus Stockhausen und der Klarinettistin Tara Bouman in der "Aula Maior".

Aber auch im Anker Filmtheater am Stadtplatz, wo Tilman Urbach seinen Künstlerfilm über Gotthard Graupner (mit Musik von Johannes Tonio Kreusch) zeigte und der für seinen immer zugänglichen und klugen Experimentalstil bekannte Gitarrist Claus Boesser-Ferrari den Stummfilmklassiker "Der Golem" live vertonte. Und am vielleicht eindrucksvollsten sehr spät am Freitagabend in der Stadtpfarrkirche St. Jakob: Der in Berkeley geborene und in der Schweiz aufgewachsene Organist Bernhard Ruchti schlug einen in seiner Varietät wie kreativen Dichte faszinierenden Bogen von Arvo Pärt über den späten Franz Liszt und ein eigenes Werk bis zu Philipp Glass. Ein Programm, das man mangels mutiger Veranstalter kaum je hören kann, obwohl sich dabei Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Musik auflösen. Vielleicht ja in einer ähnlichen Form beim nächsten "Look Into The Future". Burghausens Bürgermeister Hans Steindl war jedenfalls von der Festival-Premiere zu Recht angetan und versprach eine Fortsetzung.

© SZ vom 24.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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