50 Jahre Beatles:Die heilige Familie

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Das Jahrzehnt der Beatles beginnt im Jahr 1960, nur ohne die Beatles - die kannte damals noch kein Mensch. Über ein eher willkürliches Jubiläum.

Jens-Christian Rabe

Das 50-jährige Beatles-Jubiläum, das in Deutschland gerade mit sehr langen Artikeln und sehr aufgeregten Fernsehberichten begangen wird, erzählt eine Menge über den Ruhm dieser großen und wichtigen Band der Popgeschichte. Es erzählt aber auch einiges über die vergleichsweise junge Übung der Popgeschichtsschreibung.

Die Pilzköpfe, die die Welt in Atem hielten: "The Beatles" werden 50 - und sind damit die älteste Boygroup der Welt. Aber stimmt dieses Jubiläum überhaupt? (Foto: dpa)

Und das beginnt schon damit, dass das große Jubiläum genau genommen ein eher zweifelhaftes, etwas willkürliches ist. In den maßgeblichen Poplexika wird aus guten Gründen der Anfang der Bandgeschichte knapp drei Jahre weiter zurück, in das Jahr 1957 datiert.

Am 6. Juli 1957 wurde ein talentierter junger Schüler und Gitarrist namens Paul McCartney einem kaum älteren Schüler und Bandleader namens John Lennon vorgestellt, und zwar nach einem Konzert von Lennons Skiffle-Band The Quarrymen beim Gartenfest einer Liverpooler Pfarrgemeinde.

George Harrison schloss sich der Gruppe im Februar 1958 an. 1959 entließ Lennon die übrigen Mitglieder und gründete mit McCartney und Harrison das Trio Johnny & The Moondogs, das im Januar 1960 Lennons Kunstschul-Kommilitonen Stuart Sutcliffe als Bassisten aufnahm. In Anlehnung an Buddy Hollys Band The Crickets (Die Grillen) nannten sie sich bald The Silver Beatles. Im August 1960 schließlich nur noch The Beatles.

Der Anfang der "echten" Beatles war unspektakulär

Um also zu behaupten, wie es etwa der Spiegel kürzlich tat, dass vor genau 50 Jahren die Karriere der Beatles begann, oder wie die Zeit festzustellen, dass damals die Beatles gegründet worden seien, muss man mindestens ein Auge zudrücken. Die Wahrheit ist unspektakulärer. Sie lautet: Die schon seit über drei Jahren gemeinsam musizierenden John Lennon, Paul McCartney und George Harrison traten im August 1960 zum ersten Mal unter dem Namen The Beatles auf.

Ringo Starr, der vierte "echte" Beatle, kam sogar erst Mitte des Jahres 1962 dazu. Das erste gemeinsame Konzert gaben Lennon, McCartney, Harrison und Starr schließlich am 18. August 1962 in der nordenglischen Hafenstadt Birkenhead.

Die nächsten wesentlichen Daten der Bandgeschichte kamen danach in schneller Folge: Die erste Single-Veröffentlichung der Band, der Song Love Me Do, erschien am 5. Oktober 1962 und kam bis auf den 17. Platz der britischen Charts. Das erste Album Please Please Me erschien am 22. März 1963 und erreichte den ersten Platz der britischen Album-Charts.

Der Ausbruch der Beatlemania

Als endgültiger Durchbruch der Band in England gilt ihr Auftritt in der populären Fernsehsendung Sunday Night At The London Palladium am 13. Oktober 1963, den 15 Millionen Zuschauer sehen. Nach einem Live-Auftritt am 9. Februar 1964 vor 74 Millionen amerikanischen Fernsehzuschauern in der Ed Sullivan Show bricht schließlich auch in den USA die Beatlemania aus, die Band ist weltberühmt.

Sollten sich die aktuellen Beatles-Geschichten gut verkauft haben, dürften in den nächsten Jahren also noch so manche große Jubiläumsartikel anstehen.

Aber auch in einem anderen, pophistorisch sensibleren Punkt verkürzt die große Beatles- Erzählung dieser Tage die Geschichte. Es heißt überall im Grunde: Am Anfang waren die Beatles. Die Band ist nicht weniger als die "heilige Familie des Pop" ( Zeit). Ganz falsch ist das natürlich nicht. Die Originalität, Produktivität und Vielseitigkeit der Beatles ist bis heute außergewöhnlich. Die Erzählung von der heiligen Familie ist aber auch nicht die ganze Geschichte.

Denn natürlich herrschte vor den Beatles auch in England nicht die Pop-Ödnis, die heute so oft beschworen wird. Die Verkaufszahlen und die Hitfrequenz der Beatles seit 1963 waren tatsächlich erstaunlich, und es war kein Zufall, dass das Phänomen einen eigenen Namen bekam: Beatlemania. Aus heiterem Himmel kam dies alles jedoch nicht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie stark die Beatles polarisierten - und ob sie den Rock'n'Roll begraben haben

Der amerikanische Rock'n'Roll samt seinen an markanten Stars orientierten Vermarktungsstrategien war spätestens seit seiner Popularisierung durch Elvis Presley in den letzten Jahren der Fünfziger auch in England schon sehr einflussreich.

Bereits 1959 gibt es einen populären Film, der das britische Popgeschäft samt seiner verschlagenen, zu jeder gewinnbringenden Manipulation bereiten Managertypen porträtiert: Bongo Express. Die Hauptrolle des Bongo Herbert spielt darin der englische Elvis Cliff Richard, dessen Platte Summer Holiday die Beatles vier Jahre später mit Please Please Me vom ersten Platz der englischen Album-Charts verdrängten.

Eine ganz eigene britische Variante des Rock'n'Roll hat, wie der akribische Pophistoriker Jon Savage in verschiedenen Aufsätzen eindrucksvoll belegt hat, weit vor dem Durchbruch Erfolg. Der Wendepunkt ist für Savage der Januar 1960, in dem die Rock'n'Roll-Version von Emile Ford and The Checkmates des schon 1916 geschriebenen Songs What Do You Want To Make Those Eyes At Me For? den ersten Platz der Single-Charts erklomm.

Der Song verkaufte sich schließlich über eine Million Mal. Stars wie Anthony Newly und Lonnie Donnegan hatten im selben Jahr Erfolg mit trotzig interpretierten Songs, die eigentlich noch in der britischen Folk- und Skiffle-Tradition standen. Es gab mit Marty Wilde sogar schon einen Musiker, nach dessen Vornamen ein Teenie-Magazin benannt worden war. Und Billy Furys wegweisendes Album The Sound Of Fury erschien auch schon 1960.

Das Jahrzehnt der Beatles im Pop beginnt also wirklich im Jahr 1960. Nur eben ohne die Beatles. Die kannte damals noch kein Mensch.

Auch die Band selbst machte sich über ihre Einzigartigkeit in der Frühzeit keine Illusionen. Im ersten amerikanischen Fernsehbericht über die Beatlemania 1963 antwortet Paul McCartney auf die Frage, inwieweit sich der Mersey Beat von anderen Rock'n'Roll-Pop-Spielarten unterscheide, ganz ernst: "Ich glaube nicht, dass er wesentlich anders ist."

Seine natürlich nicht ganz ernst gemeinte Antwort auf die Frage des CBS-Reporters, wie sie sich ihren Erfolg erklärten, führt weiter: "Wegen den Haarschnitten." Tatsächlich hatte sich der Manager Brian Epstein Image und Erscheinung der Band als unübersehbar selbstbewusste, aber vorzeigbar wohlerzogene und anständig gekleidete Rock'n'Roll-Boygroup sehr genau überlegt.

Nur so konnte die Band, wie Jon Savage schreibt, "innerhalb der existierenden Spielarten und Tradition der leichten Unterhaltung platziert" werden, ohne etwas sein zu müssen, was sie nicht war. Das war der Trick. Auf kein Pop-Phänomen hatten sich zuvor so viele verschiedene gesellschaftliche Kreise einigen können. Und so ist es wohl immer noch.

Der meistgespielte Popsong aller Zeiten: "Yesterday"

Viel mehr als der Anfang des modernen Pop ist die Geschichte der Band damit jedoch ein Ende, das der amerikanische Musikhistoriker Elijah Wald zum Thema seiner im vergangenen Jahr erschienenen alternativen Popgeschichte machte. Das Buch trägt den Titel: How the Beatles destroyed Rock'n'Roll (Oxford University Press).

Die berühmteste Rock'n'Roll-Band der Welt als Totengräber ihres eigenen Genres? Das ist natürlich eine Frage der Perspektive. Aber genau deshalb ist Walds Blick interessant. Aus amerikanischer Perspektive sind die Beatles zum Zeitpunkt ihrer ersten großen Erfolge noch viel mehr bloße Nachhut, als aus englischer: "Als die Beatles die Rhythmen von Chuck Berry und Carl Perkins nachspielten, waren die längst schon veraltet. Ihr Beitrag war, die weißen Kids von den großen musikalischen Innovationen der schwarzen Meister des Souls abzulenken."

Mit anderen Worten: "Die Beatles waren nicht der Höhepunkt des Rock. Sie machten aus dieser pulsierenden, Rassengrenzen überschreitenden Tanzmusik ein Vehikel für klebrige weiße Überambitioniertheit." Der Vorwurf ist alt. Und richtig ist natürlich auch, dass es den Beatles so gelang, die Popmusik zu einer anerkannten Kunstform zu machen. Aber dass nach ihnen nichts mehr wie zuvor war, hatte eben auch weniger strahlende Seiten.

Die Band selbst hatte und hat für die Ambivalenz ihres Einflusses vermutlich einen untrüglicheren Sinn als ihre Hagiographen: Der von einem Streichquartett begleitete Song Yesterday wurde in England auf Wunsch der Band nicht als Single veröffentlicht. McCartney sagte später: "Wir genierten uns etwas für den Song. Wir waren doch eine Rock'n'Roll-Band." Yesterday wurde indes der meistgespielte Popsong aller Zeiten.

© SZ vom 21.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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