Italien:Über drei Brücken musst du gehen

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Seit Mussolinis Gebietsreform markiert der kleine Fluss Garigliano die Grenze zwischen Latium und Kampanien: Wenn Italien je in einen Norden und Süden auseinanderbricht, dann hier.

Von Thomas Steinfeld

Am Unterlauf des Garigliano, eines kleinen Gewässers, das bei Gaeta ins Tyrrhenische Meer mündet, stehen drei Brücken nebeneinander. Die älteste wurde im frühen 19. Jahrhundert errichtet, wird immer noch von vier steinernen Sphinxen bewacht und ist durch hohe Tore verschlossen. Daneben führt eine schlichte Straßenbrücke aus den sechziger Jahren über den Fluss. Sie wird hauptsächlich vom Regionalverkehr genutzt. Zweihundert Meter weiter schließlich überspannt eine große Tragseilbrücke eine vierspurige Schnellstraße. Sie stammt aus den neunziger Jahren und steht nach dem Einsturz der Autobahnbrücke in Genua im vergangenen Sommer unter verschärfter Beobachtung.

Die drei Brücken bilden Varianten eines Wegs, den die Via Appia vorzeichnete, und sind nicht nur praktische, sondern auch symbolische Gebilde: Von der Antike bis ins frühe 20. Jahrhundert verlief die Grenze zwischen Latium und Kampanien, zwischen Mittelitalien und Süditalien vierzig Kilometer weiter nördlich, bei Terracina. Dort stießen auch, über Jahrhunderte, der Kirchenstaat und das Königreich Neapel (in seinen verschiedenen Figurationen) aufeinander. Mit Mussolinis Gebietsreform des Jahres 1927 wurde der Garigliano zum Grenzfluss. Er ist es noch immer.

Die Symbolik lässt sich erweitern. Die alte Brücke war, als sie von Ferdinand II., dem König beider Sizilien, im Jahr 1832 eröffnet wurde, eine technische Sensation. Die ersten befahrbaren Kettenbrücken waren gerade erst in Großbritannien entstanden, und diese Brücke besitzt eine Spannweite von mehr als achtzig Metern. Im Zweiten Weltkrieg wurde der "Ponte Real Ferdinando" von deutschen Truppen zerstört. Entlang des Garigliano verlief die "Gustav-Linie", die letzte Verteidigungslinie vor Rom, die von der Wehrmacht vom Spätherbst 1943 bis zum Mai 1944, gehalten wurde. Wieder aufgebaut wurde die Brücke in den neunziger Jahren, nicht nur als Industriedenkmal, sondern auch als Triumph der Einheit über die Teilung.

Die Europäische Union half bei der Finanzierung, so wie sie es auch bei der neuen, großen Brücke tat, die Gaeta mit Neapel, Latium und Kampanien verbindet. Diese steht nun in Verdacht, nicht mehr so tragfähig zu sein, wie sie sein sollte, während jene von hohen Zäunen umschlossen ist, die zweimal im Monat, jeweils an einem Sonntag, für Besucher geöffnet werden. Nur die einfachste Überquerung des Garigliano scheint zu leisten, was Brücken zu leisten haben. Es ist, als wäre solchen Bauwerken das Symbolische abträglich.

Sollte Italien eines Tages auseinanderbrechen, in einen Norden, zu dem, mehr aus politischen und historischen denn aus ökonomischen Gründen, auch die Hauptstadt Rom gehören würde, so geschähe dies wieder an diesem Fluss. In der vergangenen Woche beantragte Vincenzo de Luca, der Gouverneur Kampaniens, die gleiche Art von regionaler Autonomie, wie sie die Lombardei, die Emilia Romagna und das Veneto bereits für sich reklamiert hatten - eine Autonomie, die sich, wenn realisiert, auf die Steuerhoheit, die innere Sicherheit und den Umgang mit Immigranten erstrecken soll.

Dieses Streben nach relativer Unabhängigkeit ist in einem Staat, dessen Zusammenhalt von Transferleistungen abhängt, ein riskantes Unternehmen, und es ist um so gefährlicher, als sich am Garigliano auch die Wählerschaften der zunehmend verfeindeten Regierungsparteien trennen: Die Lega ist eine Partei des Nordens, der "Movimento 5 Stelle" herrscht im Süden.

Am Ende seines Laufs fließt der Garigliano durch eine Landschaft, die für eine Grenze nicht zu taugen scheint. Ein wenig weiter im Norden, bei Terracina, rücken die Berge so nah ans Meer heran, dass nur eine schmale Passage bleibt. Und hat man sie passiert, ändert sich tatsächlich die Landschaft. Vorher war man durch eine Ebene gereist, durch die ehemaligen pontinischen Sümpfe, jetzt öffnet sich eine weite Bucht unter hohen Bergen, und das Wasser ist tiefblau. Ein heller Dunst liegt darüber. Am Unterlauf zieht sich der Garigliano durch ein Becken, das auf beiden Seiten des Flusses eine große Obstplantage bildet, auf der Orangen, Mandarinen und Zitronen wachsen.

Mitten in dieser großen Landwirtschaft steht, mittlerweile seines Schornsteins beraubt, ein Kernkraftwerk. Es wurde im März 1982 abgeschaltet, als die Kosten für eine dringend fällige Reparatur die Summe der zu erwartenden Erträge überstiegen, glänzt aber immer noch zwischen den Zitrusbäumen, weiß und fremd wie ein Raumschiff von einem anderen Stern. Das Reaktorgebäude, errichtet nach Plänen des Architekten Riccardo Morandi, der auch die eingestürzte Brücke in Genua entworfen hatte, steht unter Denkmalschutz.

Unter den Orangenbäumen, auf den Feldern, entlang den Straßen, die Hänge hinauf, liegen mehr Trümmer vergangener Zeiten, als je ein Register erfassen könnte. Bekannt sind die Ruinen von Minturnae, einer römischen Kleinstadt, die auf der nördlichen Seite des Garigliano unmittelbar vor den Brücken liegen. An der Via Appia, ein wenig entfernt, sind noch die Grenzstationen der frühen Neuzeit zu erkennen, der päpstlichen wie der königlichen. In der Kleinstadt Itri, in den Bergen ein paar Kilometer landeinwärts gelegen, gibt es ein Museum, das den Briganten gewidmet ist, Sozialbanditen, die bis ins späte 19. Jahrhundert auf eigenem Terrain jede staatliche Macht herauszufordern vermochten.

Die Wehrmacht und die Alliierten hinterließen Gräben und Gefechtsstände aus Beton. Der Historiker Arnold Esch erinnerte vor kurzem in seinem Buch "Historische Landschaften Italiens" (München 2018) an die Geschichte dieser Landschaft als "Kriegstheater", gestützt auf den halbautobiografischen Roman "Cesira" (1958) von Alberto Moravia. Er erzählt von zwei Frauen, Mutter und Tochter, die im Sommer 1943, als der Krieg Rom zu erreichen droht, in die heimatlichen Berge oberhalb des Garigliano flüchten, der Front entgegen. Vor allem durch Vittorio de Sicas Verfilmung mit dem Titel "... und dennoch leben sie" (1960), mit Sophia Loren und Jean-Paul Belmondo in den Hauptrollen, wurde die Geschichte weltberühmt, allerdings auf Kosten ihres historischen Gehalts.

Vor einigen Jahren publizierte die italienische Zentralbank eine Studie, verfasst von den Soziologen Adele Grompone und Luca Sessa ("Cultural Persistance? Evidence from an Administrative Reform on Borders of Southern Italy", Rom 2015), die sich der Beständigkeit regionaler Kulturen widmet, gemessen an Besonderheiten, die vor allem Süditalien zugeschrieben werden: an der relativen Menge von Wirtschafts- und Eigentumsdelikten, an der Alphabetisierungsrate, an der Zahl der Ehescheidungen, an Betrügereien bei Schulprüfungen in Mathematik und am Gebrauch lokaler Dialekte.

Die Resultate dieser Studie sind überraschend eindeutig. In den knapp hundert Jahren, die seit der Verschiebung der Grenze zwischen Mittelitalien und Süditalien an den Garigliano vergangen sind, zog auch die Grenze zwischen den regionalen Kulturen nach Süden. Dabei verstärkte sich der Verlust an "sozialem Kapital", den der Süden hinzunehmen hatte, über das proportionale Maß hinaus. Der Süden wurde also, nach soziokulturellen Kriterien betrachtet, immer südlicher. Die Folgen, die eine wachsende innere Spaltung Italiens für die Grenze am Garigliano haben wird, sind entsprechend absehbar. Den drei Brücken wird eine immer größere symbolische Bedeutung zukommen, als Repräsentanten eines nationalstaatlichen Scheiterns.

© SZ vom 20.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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