Hannah-Arendt-Preis:Bremer Senat und Böll-Stiftung gegen Preisverleihung

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In der Kritik: Masha Gessen. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Masha Gessen soll den Hannah-Arendt-Preis erhalten. Aber nun gibt es von mehreren Seiten Kritik - wegen eines Artikels von Gessen über die Lage in Gaza.

Die Kritik an der Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken an die Journalistin Masha Gessen wird lauter. Der Bremer Senat und die Böll-Stiftungen sprechen sich nach eigenen Angaben für eine Absage der Veranstaltung am Freitag aus, die Böll-Stiftungen in Bund und Land Bremen nehmen ebenfalls nicht mehr an der Preisverleihung teil. Zunächst hatte die Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Bremen Bedenken geäußert und gefordert, die Preisverleihung abzusagen.

Auslöser der Kritik ist ein Essay Gessens im Magazin The New Yorker zur Lage im Gazastreifen und der deutschen Israel-Politik. Dem DIG zufolge sei vor allem ein Vergleich von Gaza mit einem Ghetto in einem von Nationalsozialisten besetzten osteuropäischem Land befremdlich. Es stehe Gessen frei, solche Auffassungen zu vertreten, heißt es in einem Brief der DIG. "Aber Masha Gessen sollte mit ihren Ansichten nicht mit einem Preis geehrt werden, mit dem der jüdischen Philosophin Hannah Arendt gedacht werden soll." Auch Bremens stellvertretender Regierungschef Björn Fecker distanzierte sich. "Das ist ein unsäglicher Vergleich, der eine rote Linie überschreitet", teilte der Grünen-Politiker mit. Die Aussage sei durch nichts zu rechtfertigen. Die Veranstaltung könne vor dem Hintergrund nicht wie geplant im Rathaus stattfinden.

Auch zwei Gründungsmitglieder des Vereins Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken sprachen sich öffentlich für eine Absage der Preisverleihung aus. Wie Zeit Online am Mittwochabend berichtet, soll der Preis in einem anderen Rahmen am Samstag überreicht werden.

Der Trägerverein wollte zunächst an der Verleihung festhalten

Der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken wurde 1994 gestiftet. Die Auszeichnung soll Menschen ehren, die in der Tradition Arendts zu öffentlichem politischem Denken und Handeln beitragen. Über die Vergabe entscheidet den Angaben nach eine unabhängige, internationale Jury. Das Preisgeld von 10 000 Euro wird von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Senat der Freien Hansestadt Bremen gestiftet. Vergeben wird der Preis von einem Trägerverein, der Bremer Regierung und den Heinrich-Böll-Stiftungen in Berlin und Bremen. Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an den ukrainischen Schriftsteller, Übersetzer und Musiker Serhij Zhadan. Der Vorstand des Trägervereins wollte zunächst weiter an der Auszeichnung festhalten. "Der Artikel von Masha Gessen, ohne den Inhalt teilen zu müssen, passt in die Streitkultur des Hannah-Arendt-Preises", teilte der Verein auf Nachfrage mit.

Gessen gehört der Jury zufolge zu den mutigsten Chronistinnen und Chronisten der Zeit, wie es bei der Bekanntgabe der Entscheidung Anfang August hieß. Gessens Bücher, Essays und Präsenz öffneten neue Sichtweisen, die hälfen, eine Welt im beschleunigten Wandel zu verstehen, teilte der Trägerverein des Preises damals mit. Gessen, 1967 in Moskau geboren, lebt in New York City und schreibt über politische Strömungen und Konflikte in der US-amerikanischen und der russischen Gesellschaft.

Im Mai war Gessen aus dem Vorstand des Schriftstellerverbandes Pen America zurückgetreten, weil zwei russische Dissidenten von einer Diskussionsveranstaltung ausgeladen worden waren. 2019 erhielt Gessen für das Buch "Die Zukunft ist Geschichte - Wie Russland die Freiheit gewann und verlor" den Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung.

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