Islam-Diskussion:Lob des Zweifels

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Der algerische Autor und Schriftsteller Kamel Daoud vor zwei Jahren in Marseille, als er den Francois-Mauriac-Preis für sein jetzt ins Deutsche übersetztes Buch "Meursault, contre-enquete" erhielt. (Foto: Bertrand Langlois/AFP)

Der algerische Autor Kamel Daoud ist Gast der Ruhrtriennale. Sein Roman "Der Fall Meursault" wird dort dramatisiert. Ein Gespräch mit ihm und dem Intendanten Johan Simons.

Interview von Alex Rühle

Der algerische Autor und Journalist Kamel Daoud hat sich Anfang dieses Jahres weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Jetzt aber kam er nach Essen. Johan Simons, der Intendant der Ruhrtriennale, bringt in der Zeche Auguste Victoria in Marl eine dramatisierte Fassung von Daouds Roman "Der Fall Meursault - Eine Gegendarstellung" auf die Bühne. Endlich eine Gelegenheit, den Autor zu treffen und gemeinsam mit Simons zu befragen.

SZ: Sie haben der Ruhrtriennale in Ihrem zweiten Jahr die Begriffe "Liberté? Egalité? Fraternité?" vorangestellt. Warum diese Fragezeichen?

Johan Simons: Weil wir uns unserer Werte neu versichern müssen. Was ist Freiheit heute? Es ist ja schon anmaßend, das als europäische Werte zu bezeichnen. Das sind universelle Werte. Aber wir ziehen uns die immer als europäisches Trikot an.

Sie haben eine Art Gegenentwurf zu Camus' Roman "Der Fremde" geschrieben. Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Buch gekommen und warum habt ihr das jetzt als Theaterstück inszeniert?

Kamel Daoud: Ich dachte immer schon, dass irgendwann ein Algerier eine Antwort darauf schreiben muss, dass da ein Algerier am Strand abgeknallt wird und immer nur "ein Araber" ist, ohne Geschichte, ohne Namen. Dazu kommt, dass ich schon als Kind viel gelesen habe, und wenn mir der Schluss nicht gefiel oder ich mir eine Fortsetzung wünschte, habe ich sie mir selbst geschrieben. Als dann 2010 ein französischer Journalist auf den Spuren Camus' nach Oran kam, um mit mir über Camus zu sprechen, ließ er permanent durchblicken, dass das "sein" Autor sei: Der ist Franzose, ihr Algerier versteht den nicht. Es hat mich geärgert, dass dieses große Werk auf die Frage reduziert wird, wer die rechtmäßigen Erben sind. Ich hab das in meiner täglichen Zeitungskolumne kommentiert, unter dem Titel: Der zweifach ermordete Araber. Mein Chefredakteur sagte, nimm dir frei, mach daraus ein Buch.

Simons: Da kommt dieser Schriftsteller und sagt: Ich schreibe 70 Jahre später eine neue Version von Camus' Roman. Er macht aber viel mehr: Er kommt von seinem kolonialgeschichtlichen Monolog zu einer kritischen Abrechnung mit dem Islamismus. Was er macht, ist in meinen Augen ein hervorragender Kommentar zur sogenannten Flüchtlingskrise.

Inwiefern?

Simons: Diese Menschen müssen Teil unserer Gesellschaft werden. Das heißt, dass man sie wirklich annimmt und ihnen nicht nur Essenspakete zukommen lässt. Auf der anderen Seite aber auch, dass man sie kritisieren können muss.

Herr Daoud, Sie sprache n gerade von Ihrer Kolumne . Aber Sie haben doch aufgehört als Journalist?

Daoud: Ja. Ich hatte das Gefühl, dass zu viele Leute mich falsch verstehen wollen.

Sie meinen die Angriffe französischer Intellektueller nach Ihrem Text über Köln?

Daoud: Das ist das, was ihr Europäer mitbekommt. Aber in Algerien habe ich ja permanent solche Konflikte. Ich habe etwa über Palästina geschrieben, dass man das nicht als religiösen und schon gar nicht als rassischen Konflikt zwischen Muslimen und Juden sehen muss, sondern als Problem der Kolonisierung. Das sorgte in Algerien für Empörung. In den USA hatte ich großen Ärger, als ich schrieb, dass Saudi-Arabien die politisch erfolgreiche Version des IS ist.

Die französischen Intellektuellen griffen Sie an , weil Sie geschrieben hatten, das zentrale Problem der muslimischen Welt sei die Unterdrückung der Frau.

Daoud: Ist es ja auch. Wenn wir es nicht schaffen, die Rolle der Frau in der muslimischen Welt zu ändern, wird es dort auch keine andere Freiheit geben. Man kann keine freie Gesellschaft schaffen, wenn die Hälfte dieser Gesellschaft verschleiert ist, weggesperrt wird und kein Recht hat, seine Meinung frei zu äußern.

Was kann die Kultur zu diesem Kampf um die Freiheit beitragen?

Daoud: Die Frage ist falsch formuliert: Der Kampf um die Kultur ist nicht kein Nebenscharmützel, er ist die zentrale Schlacht. Als Erstes zerstört der IS die Kulturgüter, nicht die Kasernen. Als die Islamisten in den Neunzigerjahren in Algerien nach der Macht griffen, haben sie als Erstes die Schriftsteller und Journalisten ermordet. Sie brauchen die Wüste, um ihr Regime aufziehen zu können. Wenn sie die Kultur zerstört haben, dann haben sie gewonnen, dann können sie machen, was sie wollen.

Gut, anders formuliert: Was muss die Kultur in diesem Kampf erreichen?

Daoud: Für uns ist die zentrale Frage doch nicht: Was machen wir mit den Terroristen? Die muss man festnehmen. Die Frage ist: Was machen wir, damit dieser 14-Jährige kein Islamist wird? Wir haben eine Million Islamisten? Ein Riesenproblem. Aber wir müssen dafür sorgen, dass wir in vier Jahren nicht vier Millionen haben. Und das schaffen wir nur durch die Kultur. Der Islamismus verbreitet sich durch Texte, Videos und das Fernsehen, in Algerien kann man mehr als tausend religiöse TV-Kanäle empfangen. Alles gratis. Finanziert in erster Linie von den Saudis oder anderen Theokratien wie Iran. Ich kann zuschauen, wie sich dadurch die Diskurse ändern. Meine Tanten auf dem Dorf haben vor zwanzig Jahren über Sex, Kleidung, Ehe diskutiert. Heute reden sie nur über Fatwas, die Hölle und ob das Essen halal ist.

Aber vor einigen Monaten wurde doch immerhin der Salafist, der nach der Veröffentlichung Ihres Romans eine Fatwa gegen Sie ausgerufen hat, zu sechs Monaten verurteilt.

Daoud: Ja. Aber der Islamist ist in die zweite Instanz gegangen, und da hat der Richter gesagt, er sei nicht zuständig und könne kein Urteil fällen. Das hat unseren Islamisten enormen Auftrieb gegeben. Wir haben einen sehr beeindruckenden Erziehungsminister, der versucht, die Schulen dem Zugriff der Islamisten zu entwinden. Tja, der Typ, der die Fatwa gegen mich verhängt hat, rief jetzt zu Demonstrationen gegen diesen Minister auf. Das hätte er sich vor einem Jahr nicht getraut. Sie fühlen sich stark und greifen an.

Nach der Fatwa haben Sie nie daran gedacht wegzugehen?

Daoud: Wir sprechen oft darüber. Aber weggehen erfordert mehr Mut als bleiben. Es ist eine solche Amputation, man verliert alle Freunde, die Familie, das Umfeld, die Sprache, alles, was man sich aufgebaut hat. Sogar die Gegner verliert man. Einmal hat mir eine Botschafterin angeboten, mir mit dem Visum zu helfen. Ich sagte, wenn Sie sechshundert anderen Leuten auch ein Visum geben, gehe ich, meinem Bäcker, dem Milchverkäufer unten an der Ecke. Und hab ich das Recht, meinen Kindern diese Wahl aufzuzwingen, ins Exil zu gehen?

Immerhin wären Sie als Schriftsteller frei zu schreiben, worüber Sie wollen.

Daoud: Worüber? Das einzige Buch, das man im Exil schreiben kann, ist ein Buch über das Exil. Wenn man das zweimal macht, sollte man besser einen Therapeuten aufsuchen.

Vor einem Jahr sagte Angela Merkel "Wir schaffen das". Was denken Sie, wie schaffen wir es?

Daoud: Wenn ich ein Kind adoptiere, kann ich ihm nicht einen Namen geben, etwas Nahrung und das war's. Man muss verstehen, wer aus welchem Kulturkreis kommt. Und muss sagen, wer kommt, der muss die hiesigen Regeln akzeptieren, die Freiheiten und kulturellen Codes. Wer tausend Kilometer zu Fuß hierherkommt, muss dieselbe Strecke im Kopf zurücklegen.

Da klingen Sie fast wie die Neue Rechte.

Daoud: Ich weiß. Aber es geht mir eben nicht darum, sie zurückzuschicken. Sie sind hier. Und würde ich in Aleppo leben, ich würde auch alles versuchen, um hierherzukommen. Es geht mir darum, sie wirklich zu akzeptieren. Dazu gehört, ihnen zu helfen, dass sie das Land akzeptieren, in das sie kommen. Der Flüchtling ist ein Opfer, das aber eine Eigenverantwortung trägt. Und die Leute kommen ja aus guten Gründen hierher und nicht nach Pakistan oder Saudi-Arabien. Sie kommen hierher, weil es hier Freiheiten gibt, aber die muss man dann auch akzeptieren.

Und die Religion?

Simons: Ich hatte in Duisburg-Marxloh ein Gespräch mit einem Imam. Als ich dem von den Glaubenszweifeln erzählte, die zu meinem Atheismus führten, sagte er, so etwas kenne er gar nicht. Er sei großgeworden mit dem Islam und werde bis zum Ende seines Lebens keine Sekunde zweifeln. Darüber wollte ich mit ihm diskutieren. Aber ohne Zweifel keine Diskussion.

Daoud: In den religiösen Mythen kommen die Gründerväter durch lange Zweifel und Fragen zu ihrem Glauben oder zur Wahrheit. Was die Geistlichen uns vorsetzen, ist das Gegenteil. Hier ist die Wahrheit, kein Zweifel mehr erlaubt. Der Zweifel tötet nicht, die Wahrheit schon.

© SZ vom 02.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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