Internetvideo der Woche:Schnapsolute Weltklasse

Lesezeit: 3 min

Gebot der Gerstenliebe: Russen sind leidenschaftliche Wodka-Trinker. In einem Video zeigen sie, dass auch ihre Trink-Technik unschlagbar ist - die besten Tricks in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Trinkspielen skeptisch gegenüberzutreten, ist eine sehr gesunde Einstellung, die so manche Magenturbulenz und hartnäckigen Kopfschmerz erspart. Denn wenn Erwachsene beginnen, Würfelspiele auf Kindergarten-Niveau mit hochprozentig Gebranntem zu kombinieren, besteht der Zweck meist darin, unter dem Deckmantel harmloser Geselligkeit möglichst schnell hackedicht zu werden. Spiele wie "Bier ärgere dich nicht" oder "Mäxchen" bilden das Rahmenprogramm, doch das Trinken selbst besteht im sekundenbruchteilschnellen Wegexen des Schnapses. Dabei böte der Trinkvorgang an sich allerlei Möglichkeiten zur Variation und artistischen Ausgestaltung, wie zwei russische Fachkräfte im Clip "Vodka Shot Skills" demonstrieren.

Russen genießen einen Ruf als besonders leidenschaftliche Wodka-Trinker, doch im Video zeigen sie, dass sie sich den Schnaps auch sehr kunstvoll hinter die Binde gießen können. Die beiden angeblich russischen Männer trinken ihn nicht einfach, sondern katapultieren den Inhalt des Schnapsglases in die Luft, um ihn dann ähnlich einer Weintraube mit dem Mund aufzufangen.

Wie im Zirkus gibt es eine feste Rollenverteilung von Werfer und Fänger. Sie beginnen ihre Vorstellung an einem typischen Schnapstrink-Ort, im Büro, wo nach dem Grilltellergenuss der Durst groß ist, und enden als Feuerschlucker von flambiertem Wodka, der wie ein glühender Komet durch die Nacht rast.

Man konnte sich solche Szenen zuvor nur auf der Raumstation Mir vorstellen, denn in der Schwerelosigkeit bleiben Flüssigkeiten wie im Videoclip in einem gallertartigen Tropfen verbunden. Vielleicht muss man auch nur genug Wodka trinken, damit die Realität von ihren Naturgesetzen abrückt und eine Schnapsblase unzerstäubt durch einen Autoinnenraum hindurchfliegt.

So ernst dieser Sport verglichen mit den würfelnden Stammtischen wirkt, so ironisch ist er im Hinblick auf die Geschichte des Internetvideos. Denn bei YouTube sind schon alle möglichen Dinge in alle möglichen Öffnungen geworfen worden, je unmöglicher es aussieht, desto besser der (bisweilen digital manipulierte) Effekt. Die "Vodka Shot Skills" sind also auch eine Parodie auf dieses Clip-Genre.

Da das Trinken von alkoholischen Getränken ohnehin verdächtig ist - man unterstellt etwa dem Weintrinker, dass seine Leidenschaft den 13,5 Prozent Alkohol und nicht den wohlschmeckenden "Noten von Pflaume, Anis und drei Wochen gerittener Satteldecke" im Barrique-Bordeaux gilt - wirkt jede Trink-Artistik wie ein Alibi-Hobby. Je weiter sich der Trick vom eigentlichen Trink-Vorgang entfernt, desto überzeugender ist er, wie der Clip "Beer Trick" beweist.

Dieser Mann demonstriert Mäßigung, Geduld und einen festen Willen, hantiert er doch mit einem halbvollen Bierglas, dessen Inhalt noch frisch ist, aber schon schal zu werden droht. Es wäre ein Gebot der Gerstenliebe, das Restbier schnell hinunterzuspülen und ein neues zu bestellen.

Doch der Bier-Jongleur hat anderes vor, er balanciert die Unterkante des Glases auf einer Münze aus. Die Schwierigkeit liegt im Flüssigkeitsgrad des Bieres. Löste der Jongleur einige Blättchen Gelatine darin auf, verwandelte sich das Bier zum matschigen Klumpen, und seine Aufgabe wäre so einfach wie die Glas-zu-Mund-Würfe mit dem Kleister-Wodka.

"That's so fucking cool!"

Trotzdem probiert der Mann das scheinbar Unmögliche. Und was eine Minute lang so aussieht, als sei es das sinnlose Werk eines vielleicht schon angetrunkenen, gelangweilten Kneipenabhängers, entfaltet am Ende seine Faszination: Das Bierglas steht tatsächlich auf der Kante, wie sonst nur US-amerikanische Polizeiautos, wenn sie in Actionkomödien auf zwei Reifen durch schmalste Häuserdurchlässe brausen.

Der Jongleur hat sich das größtmögliche Pub-Lob redlich verdient: "That's so fucking cool!" So feinsinnig können Biertrinker sein. Sie kreieren Balance-Kunstwerke und applaudieren bei einer gelungenen Vorführung.

Im Kontrast zu diesem kontemplativen Trink-Trick zeigt der Clip "Drinking from you head with no hands", wie man mit vollem Körpereinsatz das Partypublikum zur Ekstase treibt. Als Zuschauer glaubt man zunächst nicht, dass es möglich ist, ohne Hilfe der Hände einen auf dem Kopf abgestellten Becher auszutrinken. Der Clip zeigt, dass neben körperlicher Biegsamkeit auch Bewegungsintelligenz nötig ist, um die Lösung zu finden.

Als der Junge nach hinten kippt, denkt man schon, der Versuch sei gescheitert, doch auch das ist Teil des Plans. Er hat's geschafft, nur ein paar Tropfen sind auf dem T-Shirt gelandet. Nebenbei entwirft er mit diesem Trink-Trick ein so vernünftiges wie sicheres Modell des Alkoholkonsums: Immer nur so lange trinken, wie man ein Glas ohne Hände vom Kopf aus leertrinken kann. Das klingt doch fast wie eine Empfehlung der WHO.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

© sueddeutsche.de/korc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: