Wer so große Zinken hat, muss hin und wieder anecken, das Bild des Elefanten im Porzellanladen wirkt geradezu zierlich gegen ihn, den so starken wie wendigen polygamen Lebensabschnittspartner der Europalette, den Gabelstapler. Manchmal sind auch diese Nutzfahrzeuge unnütz und überschätzen ihre Kraft und ihre Fähigkeiten. Dann nehmen sie etwa zu viele Kilos auf die Gabel, was ihnen nicht gut bekommt. In anderen Fällen stimmt beim Rückwärtsfahren die Koordination mit der Hecklenkung einfach nicht.
So gibt es bei YouTube zahlreiche Szenen von Staplerunfällen zu sehen, doch jetzt wurde plötzlich ein Gabelstaplermissgeschick sehr populär. Das liegt wohl daran, dass hier besonders gründlich Bockmist bei der Arbeit gemacht wird und in einer Dominostein-artigen Kettenreaktion ein ganzes Warenlager zusammenstürzt. Zudem passt die Art der Waren gut zu einer möglichen Ursache des angerichteten Chaos. Der Staplerfahrer hat nämlich Spirituosen abgeräumt, Wodka- und Cognacflaschen, weshalb das Video auch als neue Variante der "Trunkenheit am Steuer" apostrophiert wird.
Zu Beginn blickt man in das Moskauer Schnapslager, in dem ein Gabelstapler steht, ansonsten aber nicht viel passiert. Wie zur Ablenkung rollt ein zweiter Stapler von rechts ins Bild, doch der andere Fahrer ist der Star. Er bereitet sich auf seinen Auftritt vor, trinkt noch einen Schluck, man weiß nicht was, und holt sich vom Kollegen noch letzte Tipps. Dann startet er seine Maschine. Langsam, aber sehr, sehr bestimmt und dann plötzlich aus unerfindlichem Grund mit Vollgas fährt er auf eines der Regale zu.
Obwohl das von einer Überwachungskamera aufgenommene Video tonlos ist, meint man, die zu Boden donnernden Regale und Kisten zu hören. Sofort eilt der Rettungstrupp herbei, klettert auf den Lawinenkegel und schaufelt den Fahrer frei. Er ist nur leicht verletzt worden, sie können nun alles wieder aufbauen und weitermachen. Man muss an die Zeilen der Spaßband Geier Sturzflug denken, den "Gabelstaplerführer", der "mit der Stapelgabel prahlt", diesmal das Bruttosozialprodukt aber nicht steigert. Die Szene erinnert an ein Geschicklichkeitsspiel, das man nur mit Gabelstaplern spielen kann.
Dass in dem drolligen kompakten Gefährt diabolische Fähigkeiten schlummern, ahnte man als Heranwachsender spätestens bei der Ferienarbeit, wenn Gabelstapler durch die Fabrikhalle sausten. Ob der eigenen eintönigen Tätigkeit an Metallstanze oder Kunststoffpresse hätte ein Ritt auf diesen Flitzern Abwechslung versprochen, doch, ach, man durfte sie nicht fahren. Um Gabelstapler bedienen zu dürfen, musste man 18 Jahre alt und Inhaber eines Gabelstaplerführerscheins sein. Dass man nicht ran durfte, und sie gefährlicher als ein kleines Motorrad (das man schon mit 16 Jahren fahren durfte) waren, machte Gabelstapler besonders attraktiv.
In Stefan Prehns und Jörg Wagners Kurzfilm "Staplerfahrer Klaus - Der erste Arbeitstag", der gegen den Willen der Macher bei YouTube zu sehen ist, verwandelt sich der Gabelstapler in einen kleinen fiesen Berserker, seine Zinken werden zu gewaltigen scharfen Stoßzähnen. Aus dem Off erzählt Egon Hoegen, der auch im "Siebten Sinn" Verkehrstipps gab, in dieser Parodie auf Sicherheitsfilme vom ersten Arbeitstag des Staplerfahrers Klaus Bersek. Was beginnt wie eine steife Informationssendung, verwandelt sich rasch in eine Splatter-Tour-de-Force in der Fabrikhalle. Klaus' Kollegen müssen leiden, und am Ende verliert der Staplernovize völlig den Kopf.
Dass man sich mit dem Gabelstapler auch besonders geschickt anstellen kann, zeigt der Clip "Forklift coin tricks 1", in dem ein Stapler-Artist zwei Münzen gleichzeitig mit den Zinken auf deren Auflageflächen schnippen lässt. Er beherrscht das so souverän, dass man fast befürchtet, er könne die angenehme Unaufdringlichkeit des Internetvideos bald verlassen und Ambitionen haben, bei "Wetten, dass..?" aufzutreten.
Gottschalk würde dann Hunziker gegenüber einen schlüpfrigen Witz machen, à la "Na, Michelle, so hat Eros dich wohl nie aufgegabelt!" Und will man das wirklich erleben? Gabelstapler sollen sich lieber in ihrem natürlichen Habitat der Lagerhallen, Frachthäfen und sonstiger Palettenparadiese austoben, auch wenn ab und zu ein paar Flaschen zu Bruch gehen.
"Das Leben der Anderen" live auf der Bühne, am Freitag, dem 27. November, um 20 Uhr im Neuen Haus der Münchner Kammerspiele. Der Dramaturg Matthias Günther diskutiert mit dem sueddeutsche.de -Kolumnisten Christian Kortmann über die besten Auto-Video-Clips. Dann wird es ernst. Der Carrera-Bahn-Club Topspeed lädt das Publikum zum Duell an einer vierspurigen, 20 Meter langen triovalen Rennbahn ein.