#instapoetry:Milch und Honig

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Auf Instagram hat sich eine neue Lyrik-Variante entwickelt: die Instapoetry. Yrsa Daley-Ward und Rupi Kaur sind zwei ihrer Stars, ihre Bücher erscheinen mittlerweile weltweit.

Von Elisabeth Gamperl

Der Durchbruch gelang Rupi Kaur mit Blutstropfen. Die kanadische Dichterin und Bestsellerautorin postete ein Selbstporträt mit durchscheinendem Menstruationsblut auf der Jogginghose auf Instagram. Unter das Bild schrieb sie: "Ich blute jeden Monat, um die Menschheit möglich zu machen". Tausende Frauen teilten daraufhin den Beitrag und zeigten eigene Periodenbilder.

Knapp drei Jahre ist das jetzt her, im Instagram-Kosmos war sie da schon längst ein Popstar: Der Kanal von Rupi Kaur hat mehr als drei Millionen Fans, sie ist das Aushängeschild einer ganzen Heerschar von jungen Lyrikern, die in dem sozialen Netzwerk überwiegend schmalzige Gedichte verbreiten, sie ist die erfolgreichste Instagram-Poetin überhaupt. Und eine der wenigen, der der Sprung in den regulären Buchmarkt gelungen ist.

Dass diese Texte mit der hermetischen, akademisch-abendländischen Lyrik nicht sehr viel zu tun haben, ist durchaus Programm. Sie wenden sich nicht an die Institute, sondern an die Massen und arbeiten deshalb eine Qualität der kurzen Versform heraus, die übrigens auch Jan Wagners Gedichten schon vorgeworfen wurde: Das Gedicht muss auch dann zünden, wenn man es auf eine Kaffeetasse druckt. Die Instagram-Poeten aus der Rupi-Kaur-Schule vermählen Poesie und Spektakelgesellschaft, wie es zuletzt vielleicht Salvador Dalí gelungen ist.

Und auch bei Rupi Kaur ist die Persona das Gravitätszentrum des Werks: Auf Instagram inszeniert sie sich als eine Art Kompositum aus Ivanka Trump und Lana Del Rey. Sie ist immer perfekt gestylt auf den Fotos, sie sieht aus, als spiele sich ihr Leben durchgehend auf dem Cover der Cosmopolitan ab, sie trägt lange Kleider und einen melancholischen Blick. Der Unterschied zum Covergirl des analogen Medienzeitalters besteht darin, dass sie eine Sprechrolle hat, die sie für Gedichte über Herzschmerz, Trauma, sexuelle Gewalt und Herkunft nutzt. Als Kleinkind ist sie mit ihren Eltern von Indien nach Kanada emigriert, der Neuanfang in einem fremden Land ist ein wiederkehrendes Thema: In Broken English schreibt Kaur: i think about the way my father / pulled the family out of poverty / without knowing what a vovel was / and my mother raised for children / without beeing able to construct / a perfect sentence in english (...)

Und weil auch die Illustrationen zu den Gedichten von ihr selbst stammen und es sich dabei um handgefertigte, filigrane, verzitterte Zeichnungen handelt, sehen die Gedichtkacheln von Rupi Kaur auf Instagram von Weitem aus wie ein Gedichtband von Günter Grass. Verlage und Literaturzeitschriften schickten ihr die Texte trotzdem regelmäßig wieder zurück, weshalb sie ihr Debüt "milk and honey" selbst veröffentlichte: Sie illustrierte die Gedichte, brachte sich ein Layoutprogramm bei und vertrieb das Werk anschließend online über Amazon. Dem Guardian sagte sie einmal: "Es gab keinen Markt für Gedichte über Trauma, Missbrauch, Verlust, Liebe und Heilung durch die Brille einer Punjabi-Sikh-Einwanderin."

Mittlerweile hat sich "milk and honey" weltweit über drei Millionen Mal verkauft, wurde in über 35 Sprachen übersetzt und hielt sich über 100 Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times. Auch ihr zweiter Band, "the sun and her flowers" verkauft sich schon wieder gut. Wie ein Popstar tingelt sie von Talkshow zu Talkshow. Eines ihrer bekanntesten Gedichte wurde auf Instagram mehr als 200.000 Mal geliked und wird mittlerweile auf Tassen gedruckt: Our backs / tell stories / no books have / the spine to / carry (women of colour). Rupi Kaur hat Poesie in den Mainstream gebracht.

Instagram ist der Weichzeichner unter den sozialen Netzwerken, dort ist alles schöner, weltläufiger und aufregender als bei der Konkurrenz, wo man sich vor allem von verwirrten Paranoikern anschreien lassen muss. Pro Tag werden hier im Schnitt 80 Millionen Fotos und Videos hochgeladen. Zwischen all den Selfies, Urlaubsbildern, Baby-, Kaffeebecher-, Wohnungseinrichtungsfotos und Yogaübungen hat sich unter dem Hashtag #instapoetry auch die literarische Kurzform gemischt. Die Gedichte fusionieren Bild und Wort, sie werden gern mit der Hand geschrieben und abfotografiert oder als Stillleben mit Zeichnungen und Fotos inszeniert. Die Posts sind meist eine Mischung aus Tagebuchauszügen und Lebenshilfeliteratur, die sich in den quadratischen Bilderstrom auf Instagram einpassen.

Auch die Instapoetin Yrsa Daley Ward hat sich über diesen Kanal einen Autorenstatus erarbeitet, der so weit in den etablierten Literaturbetrieb herüberleuchtete, dass sich in diesem Sommer selbst der "New Yorker" für sie interessierte und sie ausführlich vorstellte. Das ehemalige Model mit jamaikanisch-nigerianischen Wurzeln, erreichte auf Instagram 146.000 Follower, mittlerweile erscheinen ihre Bücher bei Penguin. Ward thematisiert Schreibblockaden und Selbstzweifel, LGBT-Themen und Rassismus. Auf einem Foto trägt sie einen Kapuzenpullover, auf dem steht: I am the tall dark stranger - Ich bin der große, schwarze Unbekannte.

Instagram-Poeten fügen sich letztlich den Gesetzen des Netzwerks. Künstler und Publikum sind unter sich, eine kritische Instanz gibt es nicht. Dennoch hat die Plattform Literaturkarrieren ermöglicht, an die im konventionellen Literaturbetrieb wohl nicht zu denken gewesen wäre. Das tut der Dichtkunst insgesamt sehr gut, denn Instapoeten wie Rupi Kaur oder Yrsa Daley Ward bringen mit ihrer Art und ihren Themen eine Zugänglichkeit und Inklusivität in das abstrakte Genre, das lange Zeit vor allem einer privilegierten und intellektuellen Klasse vorbehalten war. Und sie heben Literatur in ein neues Medium, ähnlich vielleicht wie einst Rolf Dieter Brinkmann, Vater der deutschen Popliteratur, der die neuen Medien damals, in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als Mittel zur Sinnes- und Seinserweiterung umarmte. Manchmal muss man sich vielleicht von Traditionen abwenden, um eine Gattung zu erneuern, oder, wie Brinkmann es formulierte: "Man muß vergessen, daß es so etwas wie Kunst gibt!"

Kaur und Ward sind vielleicht nicht die Hemingways oder Kästners unserer Zeit, aber das ist das Großartige daran: Sie erheben auch nicht diesen Anspruch. Zwar führt die Abhängigkeit von der Instagram-Währung "Like" dazu, dass vor allem Botschaften gepostet werden, bei denen man im Vorhinein weiß, dass sie viel Resonanz bekommen. Das ist nicht sonderlich nobel. Andererseits hat es nie einen Anlass gegeben, Dichter für besonders nobel zu halten. Und außerdem ist der Professionalitätsvorwurf gegen erfolgreiche Autoren schon immer von allen der langweiligste gewesen.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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