Indie-Musiker Father John Misty:Mehr Poptimismus wagen

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Eine Erscheinung, die den Irrsinn der Welt so zu packen versteht, dass man sich etwas weniger ohnmächtig fühlt: Josh Tillman alias Father John Misty. (Foto: Pias/dpa)

Unwiderstehlich lässig: Josh Tillmann alias Father John Misty ist ein Indie-Pop-Held ganz neuer Art. Kein Trauerkloß, sondern ein größenwahnsinniger Sack mit Sonnenbrille.

Von Jens-Christian Rabe

Die Popmusik bringt ja laufend Wahnsinnige hervor. Das ist ihr Job. Diese Wahnsinnigen unterscheiden sich dann nur darin, ob sie so tun, als seien sie wahnsinnig echt oder ob sie so tun, als seien sie wahnsinnig künstlich. Je nach Genre sind die Möglichkeiten allerdings meist streng limitiert. Im Indiepop oder im Rock sollte man schon wirklich ganz man selbst sein wollen, wenn man es zu etwas bringen will. Hier muss es amtlich ehrlich zugehen, sonst vergrault man die Freunde der Aufrichtigkeit.

Bruce Springsteen zum Beispiel macht das sehr, sehr gut. Es gibt ja wenige Stars, die öffentlich so gekonnt schwitzen können wie er. Unbezahlbare, in ihrer Komplexität immer noch stark unterschätzte Popstar-Fähigkeit (im Unterschied übrigens zur stark überschätzten Fähigkeit, auf Knopfdruck leiden zu können). Weil: Der Schweißfleck unter dem Arm ist ja nur das eine. Man muss auch von einer Sekunde auf die andere so wirken können, als habe man ihn sich für das Publikum eben erst frisch auf's Hemd malocht - und sei nicht einfach bloß gerade ein bisschen gestresst.

Locker lächelnd aus der Hüfte

Im Highscore-Mainstream-Pop wiederum darf man schon mal "Madonna" sein, oder sogar "Lady Gaga". Also eine spektakulär schräge, gelegentlich sogar monströse Ableitung unserer kollektiven Sehnsüchte und Abgründe. Schweiß ist hier jedoch unbedingt zu vermeiden. Kontraproduktiver Fingerzeig des Realen. Allenfalls ein paar Deko-Perlen auf der Stirn sind unter Umständen ok. Es gilt die zart paradoxe Regel: Je härter die Inszenierung ist, umso müheloser muss sie wirken. Also bitte die große Tanz-Choreografie, dazu formidabler Live-Gesang, und alles zusammen ganz locker lächelnd aus der Hüfte.

Das sind so die Möglichkeiten. Interessanter wird es, wenn die Regeln gebrochen werden, wenn also zum Beispiel ein Highscore-Mainstream-Popstar versucht, einfach nur ein netter Kerl zu sein oder die beste Freundin. Im Moment versucht das die amerikanische Sängerin Taylor Swift. Und sie macht das, nach allem, was man so mitkriegt, wirklich gut. Aber man fragt sich schon, wie lange sie es wohl durchhalten wird. Als Star ist man ja, ob man will oder nicht, ab einem gewissen Punkt die Summe dessen, was das Publikum über einen denkt. Und je größer der Ruhm ist, umso weniger hat das mit einem selbst zu tun. Unter diesen Umständen weiter die beste Freundin geben zu wollen, ist im Grunde nichts anderes als schizophren und auf die Dauer gesundheitsgefährdend.

Fabelhaft lässige Parodie der eigenen Träume

Richtig interessant allerdings wird es, wenn man im mit authentisch verhuschten Profi-Trauerklößen übervölkerten Indie-Folk plötzlich die ganz große sardonische Entertainer-Show abzieht; wenn man das Pathos der großen Geste probiert, den schmetternden Gesang; wenn man den arroganten, größenwahnsinnigen Sack mit Sonnenbrille gibt; wenn man sich schlangenhaft um den Mikrofon-Ständer herumwindet wie ein abgewohnter Vollblutzottelbart-Poser im edlen Anzug, der etwas ungelenk so tut, als sei er eine große Diva; wenn man bei alledem aber keine Miene verzieht, weil man nämlich eigentlich damit beschäftigt ist, formvollendet die Nebenwirkungen einiger halluzinogener Pilze zu viel in Schach zu halten. Kurzum: wenn man versucht, alle ein bisschen an der Nase herumzuführen mit einer fabelhaft lässigen Parodie ihrer eigenen Träume.

Ungefähr so macht das gerade der amerikanische Sänger und Songwriter Father John Misty, dessen zweites Album "I Love You Honeybear" (Bella Union) jetzt erschienen ist. Und der kleine Anlauf dieser Geschichte ist nötig, weil es eben doch nicht alle Tage geschieht, dass es einem gelingt, im Personal des Pop eine wirklich originelle Figur zu etablieren und - das ist noch seltener - tatsächlich in der Lage ist, sie facettenreich zu entwickeln und schlüssig am Leben zu erhalten. Ein Instrument beherrschen viele, leidlich außergewöhnlich singen ist auch vergleichsweise weit verbreitet und mindestens ein Hit findet sich auch für die, die nur eine gute Weile hart genug dranbleiben an ihrem Traum.

Aber so einen Typen wie Father John Misty in die Welt zu setzen, das ist etwas ganz anderes. Die hohe Schule. Nicht nur einen Musiker, sondern eine Erscheinung, die den Irrsinn der Welt irgendwie so zu packen versteht, dass man sich nicht nur etwas weniger ohnmächtig fühlt, sondern gleichzeitig gestreichelt und bewaffnet.

Seine großzügig orchestrierten, gerne bisschen verschunkelten Hymnen sind die Streicheleinheiten für das Selbstmitleid, von dem man vorher schon weiß, dass es vollkommen übertrieben ist. Und die Haltung des Fathers, dieser leicht übertrieben stolze Sarkasmus, der kann eine gute Waffe sein gegen die Unbill einer zunehmend katastrophischen Gegenwart. In einer Zeit, in dem man leider das Gefühl nicht los wird, dass Optimismus nur das Ergebnis von Informationsmangel ist, Pessimismus aber ja auch nicht die Lösung sein kann, könnte man die Haltung, die Father John Misty anbietet, womöglich Poptimismus nennen.

Sein Twitter-Account zum Beispiel ist voller kleiner großer Weisheiten und tröstender Sinnsprüche des Poptimismus. "Instagram: Wo der eine perfekte Moment in Deinem ansonsten bedeutungslosen Leben zu Grabe getragen wird." Oder: "Die meisten Tweets lesen sich für mich so, als ob man die Entertainment-News der Huffington Post mit Google Translate mehrfach hin und zurück vom Japanischen ins Englische übersetzt hätte." Oder auch, am 24. Dezember des vergangenen Jahres: "Bitte merken: Das Universum ist planlos, moralisch neutral und von Natur aus gewalttätig. #merrychristmas."

Eine Stimme wie ein weiser Märchenonkel

Auf dem neuen Album steckt der Poptimismus natürlich überall, im voluminösen Chor, im leichthändigen Gitarrengeklampfe und auch noch in der kleinsten dahingeklimperten Pianophrase, besonders aber steckt er in dieser Stimme. Einer Stimme, die theatralisch und groß herumzittern kann und herzzerreißend jaulen, die einem aber auch säuselnd schmeichelt wie ein weiser Märchenonkel.

Father John Mistys "Ohhh!" ist nicht einfach nur ein Ohhh. Es ist ein Ohhh, mit dem er das Kunststück fertigbringt, gleichzeitig distanziert und völlig bei sich zu klingen. Als würde er sich chronische Schmerzen vorstellen, mit denen man umzugehen gelernt hat, weil man sie nie mehr ganz loswerden wird. Man höre nur den Titelsong "I Love You, Honeybear" oder "Nothing Good Ever Happens At The Goddamn Thirsty Crow" oder auch "Holy Shit".

Einfach so zugefallen ist das Josh Tillman - so heißt Father John Misty eigentlich - nicht. Unter eigenem Namen veröffentlichte er zwischen 2003 und 2010 mehr oder weniger erfolglos acht eher unauffällige klassische Neo-Indie-Folk-Alben. Als Drummer der Profi-Trauerkloß-Superstars der Fleet Foxes wurde er dann zwar doch noch bekannter. Aber glücklich war er nicht. Er muss gespürt haben, dass da noch etwas Größeres in ihm steckte. Und so war es dann auch und es hieß "Father John Misty". "Fear Fun" war 2012 das erste Father-John-Misty-Album. Und es war mit Songs wie "Well, You can Do It Without Me" schon sehr gut.

Aber es war dann am Ende doch nur der Auftakt zu neuen Songs wie "Bored In The USA", in denen sogar Gelächter vom Band wie das logischste Pop-Stilmittel aller Zeiten klingt, Songs, die unwiderstehliche Plädoyers sind für das Aushalten noch der härtesten Schicksalsschläge: "Ob Obama", schrieb er einmal auf Twitter, "mit mir in meinen Träumen auch weiterhin Nachos in der Airforce One isst, wenn er nicht mehr Präsident ist?"

© SZ vom 20.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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