In Münchner Galerien:Obsessionen in Holz und Gold

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Internationale Gäste wie Ding Yi bei Rüdiger Schöttle und Paul Morrison bei Sabine Knust

Von Evelyn Vogel, München

Es ist für uns selbstverständlich, dass sich selbst der komplexeste Sachverhalt mit Nullen und Einsen darstellen lässt. Schließlich basiert das gesamte Informationszeitalter auf computergestützten binären Codes. Was aber, wenn ein Künstler sein gesamtes Schaffen auf eine Art binären Codes stützt? Nicht auf 0 und 1, aber auf + und x. Nichts anderes nämlich tut der chinesische Künstler Ding Yi seit 30 Jahren. Und das so erfolgreich, dass er vor einigen Jahren auf der Art Basel Unlimited im Auftrag seiner Shanghart-Galerie eine ganze Koje bespielte. Nun ist er mit eben dieser Galerie und der Werkgruppe "Rim Light" im Austauschprogramm von "Various Others" bei Rüdiger Schöttle zu Gast - und beweist, dass die Form noch lange nicht ausgereizt ist.

Ding Yi war einer der ersten Künstler in China, der sich von der traditionellen, der figurativ-gegenständlichen Malerei abwandte und sich einer gegenstandslosen Ausdruckssprache zuwandte. Einer Sprache, die aus nichts anderem als aus + und x, also aus Kreuzen bestand. Bis heute arbeitet der international renommierte Künstler damit. Setzt sie senkrecht und diagonal, löst einzelne Sequenzen auf oder überlagert die Formen zu Sternen, verdichtet, konzentriert, gestaltet vielschichtige Bildwelten, in denen der Betrachter mitunter auch gegenständliche Formen zu erkennen glaubt oder ihnen ein eigenes Narrativ einschreibt. Entfernt denkt man an Stickerei, aber von einer Arts-and-Craft-Bewegung ist Ding Yi weit entfernt. Auch ist das Kreuz für ihn nur ein abstraktes Symbol ohne jede weitere Bedeutung.

Aktuelle Arbeit von Ding Yi "Appearance of Crosses 20". (Foto: Ding Yi und Shanghart Gallery)

Ding Yi, Jahrgang 1962, brach in den späten Achtzigerjahren radikal mit der Tradition seiner Heimat, gesellschaftliche Realität abzubilden. Er wollte den Bildraum abtasten. Bis heute stellt das Kreuz für ihn ein Symbol größtmöglicher Präzision dar. Man stellt ihn sich vor, wie er mit höchster Konzentration die Bildfläche schrittweise bearbeitet - zunächst mit Tusche auf Papier, dann mit Malerei auf Leinwand und anderem Malgrund.

Bei der aktuellen Werkgruppe, die für die Ausstellung in München entstand, trägt Ding Yi die Farbe vor allem auf Lindenholz auf. Doch hier malt er die Kreuze nicht nur, sondern ritzt und schneidet sie auch ein. Eine obsessive Kreuzwelt.

Ding Yi: Rim Light, Shanghart Shanghai in der Galerie Rüdiger Schöttle , Amalienstr. 41, bis 16. Nov., Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 12-16 Uhr

Nicht obsessiv, aber durchaus sehr konsequent geht der britische Künstler Paul Morrison mit dem Thema der Natur in der Ausstellung "Dahlia" um, die bei Sabine Knust zu sehen ist. Das Blumenmotiv spielt er in diversen Techniken durch: in Bildern, Skulpturen bis hin zu einem riesigen gewebten Wandteppich. Was ein wenig an die Universalkünstler früherer Zeiten erinnert. Und ja, hier könnte man eine Verbindungslinie zu der Arts-and-Crafts-Bewegung ziehen.

"Untitled (Moon)" von Paul Morrison. (Foto: Paul Morrison und Galerie Sabine Knust)

Denn Morrison setzt eine Vielfalt an Materialien und Techniken ein, um seine Themen in einen visuellen Erfahrungsraum zu transportieren. Palladium etwa, das sich je nach Standpunkt des Betrachters farblich wandelt, von einer Seite nach Silber, von der anderen nach Gold aussieht. Aber auch echtes Gold trägt er auf Leinwand auf. Das hat manchmal etwas von barocker Opulenz.

Nicht erst in jüngster, umweltbewegter Zeit hat sich der 1966 in Liverpool geborene Morrison dem naturnahen Thema gewidmet. Seine florale Hommage hat Tradition, speist sich seit Jahren sowohl aus Poesie als auch aus Reverenzen an Altmeister, wie einige Titel belegen ("after Duerer", "after Brueghel the elder").

Über das eigenen Werk hinaus betreibt Paul Morrison in einem alten Bankgebäude in Sheffield ein Ausstellungsprojekt, in dem er junge Künstler fördert. Dieser "artist run space", gemeinhin auch Off-Space genannt, ist wiederum der Link zum Konzept von "Various Others", das Institutionen, Galerien und solche kleinen, privaten, von Künstlern betriebenen Räume miteinander verbinden will. Morrison hat parallel zu seiner eigenen Einzelausstellung bei Sabine Knust im Projektraum Knust x Kunz eine Gruppenausstellung kuratiert, in der er unter dem Titel "Dark Lantern" bekannte und unbekannte britische Künstlern zusammenbrachte.

Was da in verschiedenen Medien - von Malerei über Grafik und Fotografie, Skulptur, Relief und Objekt - an düsteren Visionen zusammenkommt, spricht Bände. Man kann die Ausstellung durchaus als Zeichen der Zeit lesen. Als eines, das von der Angst der jungen britischen Künstler vor dem Brexit erzählt.

Paul Morrison: Dahlia, Attercliffe™ Sheffield in der Galerie Sabine Knust , Ludwigstr. 7, Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 11-15 Uhr; Dark Lantern, kuratiert von Paul Morrison bei Kunst x Kunz, Theresienstr. 48, Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa 12-16 Uhr, beide bis 15. Oktober

© SZ vom 30.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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