Im Portrait: Greta Gerwig:Was Ironie bedeutet

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In Greenberg spielt Greta Gerwig die nicht unkomplizierte Frau an der Seite des neurotischen Ben Stiller. Und auf ihre stille, beiläufige Weise verzaubert sie derzeit nicht nur das Publikum.

R. Gansera

Der Job ist lächerlich, die Männer erweisen sich als Folge von Enttäuschungen, und der Sex - der passiert halt irgendwie zwischendrin. "Von einem Einfach-nur-Sex zum nächste Einfach-nur-Sex - so will ich nicht mehr weitermachen", erklärt die 25-jährige Florence einmal, in einem Moment der Selbsterkenntnis. Und tut es dann natürlich doch: In der Szenekneipe hängenbleiben, zu viel trinken, sich abschleppen lassen - die Umarmungen sind dann überfallartig, tollpatschig, asynchron fast bis zur Peinlichkeit.

Noah Baumbachs Greenberg heißt nach seinem hochneurotischen Titelhelden, gespielt von Ben Stiller - aber die ebenfalls nicht ganz unkomplizierte Frau an seiner Seite, Florence, ist die eigentliche Faszinationsgestalt des Films. Was eindeutig an ihrer Darstellerin liegt, der bisher nur im kleinsten Independent-Kreis bekannten Greta Gerwig. Auf stille, beiläufige, scheinbar ganz und gar mühelose Weise verzaubert sie derzeit nicht nur das Publikum.

Sie fängt Zeitstimmung ein

"Greta Gerwig könnte die definitive Leinwandheldin ihrer Generation werden!" schreibt kein Geringerer als New York Times-Chefkritiker A.O. Scott, und die bunten Magazine feiern ein neues "It-Girl". Für die jungen Erwachsenen, deren Lebensgefühl sie verkörpert, muss das endgültige "Generation"-Label erst noch gefunden werden, eins scheint aber klar zu sein - wie absichtslos fängt Gerwig ein Stück Zeitstimmung ein.

Greta Gerwig, 1983 in Sacramento, Kalifornien geboren, begeisterte sich früh für das Theaterspiel, studierte aber "auf Anraten der Mutter etwas Ordentliches": Philosophie und Englisch am Barnard-College in New York. Sie wollte Schriftstellerin und Drehbuchautorin werden, fand Kontakt zur Szene der jungen Independent-Filmemacher in Boston und zu dem Regisseur Joe Swanberg. Mit ihm drehte sie als Hauptdarstellerin, Co-Autorin und Co-Regisseurin zwei Filme: Hannah Takes The Stairs (2007) und Nights and Weekends (2008). Mini-Budget-Werke, die in ihrem improvisatorischen, wie aus dem Handgelenk gedrehten Seelenenthüllungsstil an die dänische Dogma-Bewegung erinnern - oder an Jean Eustaches frühe Arbeiten. Hier hat die blonde, engelsgesichtige Gerwig ihren feinnervig-unprätentiösen Darstellungsstil und ihre Figur gefunden - die Rolle in Greenberg erscheint wie die bruchlose Fortsetzung dieses Parts.

Ihr fahrlässiger, schlampiger Umgang mit dem Sex

Was charakterisiert ihre Figur? Sie hat mit Männern zu tun, die sich Achsel- und Brusthaare rasieren und eher nach Fürsorge denn nach Liebe suchen. In Hannah Takes The Stairs absolviert sie drei Affären - und bleibt, wie aus Mitleid, bei dem Mann hängen, der mit den schwersten Depressionen zu kämpfen hat. In Greenberg erscheint sie oft wie die Babysitterin des egoverstrickten, vierzigjährigen Roger. Der will sich von ihr mit derselben Hingabe umsorgen lassen, mit der sie sich um den kranken Schäferhund kümmert. Fürsorgebedürftige Männer und ein mitfühlendes Herz: Schon daraus resultiert ihr fahrlässiger, schlampiger Umgang mit dem Sex.

Sex ist für sie nicht mehr das Verbotene, das abenteuerliche Minenfeld der Leidenschaft, auch nicht mehr die letzte Wildnis in der verwalteten Welt, und schon gar nicht mehr der Köder, mit dem der Mann fürs Leben und Kinderkriegen herbeigelockt werden könnte. Sex wird zu einem Akt der Selbsttröstung. Wie die extragroße Eiscreme-Box, mit der man sich allein auf das Fernsehsofa setzt. Er tut der Seele vielleicht nicht wirklich gut, aber er verschafft eine Art kindliche Tröstung. In Hannah Takes The Stairs erfährt man nebenbei, dass es Thomas Jefferson war, der Eiscreme einst aus Paris in den USA einführte.

Die Haut wird zum empfindlichsten Organ. Mit Eiswürfeln darf sie gekühlt werden, aber bei der leibhaftigen Berührung zuckt sie zusammen, in zahllosen Dusch- und Badeszenen, bei denen die Berührungsangst die größte Rolle spielt. Als Hannah sitzt Greta Gerwig einmal mit ihrer Freundin gemeinsam in der Badewanne und sinniert über das Leben: "Die wahre Tragödie besteht nicht darin, dass die Menschen einander Böses antun, sondern darin, dass keiner dem anderen wirklich zuhört. Jeder ist in sein Ego verliebt." An anderer Stelle beschreibt sie - ähnlich wie Stendhal in seiner Kristallisationstheorie der Liebe -, dass die Faszination eines Menschen, in den man sich verlieben könnte, immer in kürzester Zeit verfliegt und einem banalen Gefühl der Ernüchterung Platz macht. Verliebtheit: Projektion und Selbsttäuschung.

Apathie und Stummheit

Zentral aber ist die Unfähigkeit, den eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die sie mit viele junge Heldinnen aktueller Filme teilt: Zoe Kazan in Bradley Rust Grays Exploding Girl, Birgit Minichmayr in Maren Ades Alle Anderen, Nora von Waldstätten in Irene von Albertis Tangerine. Junge Frauen, die sich in Apathie und Stummheit zurückziehen. In Nights and Weekends steht Gerwig einmal vor dem Spiegel und möchte aufschreien, weil sie es mit ihrem Lover nicht mehr aushält, aber sie erstickt den Schrei und sinkt in sich zusammen.

Protestgefühle werden so unterdrückt, auch der Welt gegenüber. Die Eigenheiten der Person übersetzen sich nur mehr zwanghaft in Ticks und Manien. Einzige Maxime: ehrlich sein zu sich selbst. Ironie und sarkastischer Witz sind verpönt. Darin unterscheidet sich Gerwigs Florence auch fundamental von Ben Stillers älterem Roger Greenberg. Der versucht sich noch mit müdem Sarkasmus, zehrt mit dem Pathos der Dissidenz von der Entscheidung, dem System (in Gestalt einer Plattenfirma, die seine Band einst unter Vertrag nehmen wollte) den Stinkefinger gezeigt zu haben.

Ben Stiller ist ein Vertreter der Generation X, sein Regiedebüt Reality Bites (1994) war ein wichtiger Film der Bewegung. Er selbst spielte den Part des Arrivierten und überließ Ethan Hawke die Rolle des Außenseiters, der Winona Ryder definieren muss, was Ironie bedeutet. Diese Lebenshaltung trifft nun auf Florence alias Greta Gerwig, der die damals verhandelten Gegensätze vielleicht gar nichts mehr bedeuten.

Dass diese Frau keinerlei Karriereambitionen hegt, als Haushälterin jobbt und bisweilen in einem leeren Club auf die Bühne steigt, um ein Liedchen zu trällern, daraus aber weder eine dissendente Identität schmieden noch überhaupt ein Drama machen möchte - das ist hier die eigentliche Provokation. Nicht nur für Roger Greenberg.

© SZ vom 1.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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