Im Portrait: Amanda Seyfried:Sie hat die Haare schön

Lesezeit: 6 min

Amanda Seyfried steht für eine neue Schauspielergeneration: Während des Interviews schreibt sie E-Mails, essen darf sie nur Brombeeren. So ist das heute wohl, als nächstes großes Ding.

R. Casati

Der Name "Amanda Seyfried" sagt den meisten Menschen nichts. Und doch ist er gleichbedeutend mit "Das nächste große Ding". Denn so ist das in Hollywood: Ein neuer Monat ist rum, ein paar neue Filme sind draußen, die Vanity-Fair-März-Ausgabe erscheint; jene alljährliche Hollywood-Ausgabe mit Klappcover, das die wichtigsten Schauspieler des Moments zeigt, diesmal mit der Titelzeile: "Ein neues Jahrzehnt, ein neues Hollywood".

Und plötzlich ist sie da, ausgerufen - die neue Schauspielergeneration. Die Uma Thurmans, Cate Blanchetts und Nicole Kidmans heißen dieses Jahr Kristen Stewart, Carey Mulligan, Anna Kendrick oder eben: Amanda Seyfried. Und schon bald, davon ist auszugehen, wird jeder ihre Namen kennen.

Wie muss sich das anfühlen?

Wie wirkt jemand, der Hollywoods nächstes großes Ding ist, was kann er ausstrahlen?

Doch wohl bitte schön:

Etwas Enigmatisches?

Etwas Jeunesse-dorée-haftes?

Etwas Jetziges, Atemloses, Vorfreudiges?

Auf jeden Fall etwas Selbstgewisses, vielleicht sogar schon: Größenwahnsinniges.

Und wenn man vor so jemandem sitzt, der das nächste große Ding ist: Ist man alarmiert? Kommt man dann nicht fast um vor Neid? Hat man nicht sofort den Wunsch, zu erleben, wie es ist, wenn dieses warme Scheinwerferlicht aus allgemeinem Interesse auf einen gerichtet ist?

Ist es so, wenn man vor Amanda Seyfried sitzt?

Antwort: Nö, nö und nö.

Wenn Amanda Seyfried für das neue Hollywood steht, wächst da vor allem ein sehr ernsthaftes, pflichtschuldiges neues Hollywood heran. Während Carey Mulligan als die Ehrgeizige gilt, Anna Kendrick als die Selbstsichere und Kristen Stewart als die Massenkompatible, ist Seyfried wohl die Schönste, Anmutigste dieser neuen Generation. Ihre Augen leuchten meergrün auf der Leinwand, ihr Teint ist puppenhaft perfekt, ihre in schwarze Spitze gehüllte Figur hat Pin-up-Format, jedenfalls in einer Esquire-Titelgeschichte.

In der Realität ist alles etwas anders. Seyfrieds Gesicht ist durchscheinend blass. Sie trägt ein leberwurstfarbenes Fair-Trade-T-Shirt, ein Billigschal verhüllt den Hals, eine graue Jeans spannt über grashüpferdünne Beine, die in schwarze Motorradstiefel münden. Wie momentan fast alle in Hollywood lebt sie nach der "Raw Food Diet". Von der Fruchtplatte, die ihr ein Kellner des Berliner Hotel de Rome gebracht hat, angelt sie sich als Erstes alle Brombeeren. Und sie wirkt ein bisschen ratlos, als keine mehr da sind.

Interviews alleine reichen nicht mehr

Sie antwortet schnell und guckt dabei ins Leere; vielleicht liegt das aber auch nur an der Farbe ihrer Augen. Sie wirkt jedenfalls nicht andächtig, auch nicht euphorisch oder sonstwie charismatisch, nein, eher pragmatisch und pflichtbewusst, so wie Konstanze Breckwoldt aus der B-Klasse - genau, die mit dem Geigenkasten, wenn sie gerade ein Vorspielen hat.

Während des Interviews checkt Seyfried nicht nur die E-Mails in ihrem Blackberry, nein, sie beantwortet sie auch gleich. Seltsamerweise kommt das nicht in erster Linie unhöflich rüber, sondern eher aufschlussreich, um nicht zu sagen: folgerichtig. Man muss da jetzt wahrscheinlich sehr dranbleiben als Amanda Seyfried, als nächstes großes Ding, im Internetzeitalter. Interviews geben allein reicht nicht mehr.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, bei welcher Konkurrentin Amanda Seyfried am meisten Angst hat, sie könnte ihr eine Rolle vor der Nase wegschnappen.

Und da man selber ja nicht von der Bravo kommt oder von der StyleThe FashionLifeTouch!, gibt es ja auch schon einmal sehr viele Fragen, deren Antworten einen sowieso nicht interessieren, Fragen wie: "Enthalten nicht Brombeeren diese gegen Hautalterung so wirksamen Antioxidantien. . . ?"

"Haben Sie sich schon mal in einen Filmpartner verliebt?" Oder: "Wie kriegt Ihr Haar diesen schönen Glanz?"

Seyfrieds Haare sind wirklich besonders. Es sind gar keine Haare im herkömmlichen Sinn, sondern platinblonde Seidenkringel, die fast bis zur Hüfte reichen.

Eine Kleinstadtschönheit mit riesigem Herzen

In dem, wir erinnern uns, absolut wahnsinnigen Film Mamma Mia! fiel Amanda Seyfried genau durch diese Haarkringel auf. Und dadurch, dass sie wirklich gut singen konnte - anders als all die anderen Darsteller, die es andauernd taten, denn schließlich war das Ganze ja ein Musical. Wenn halt auch ein wahnsinniges.

Seyfried jedenfalls spielte darin ein Mädchen, die mit ihrer Hippie-Mutter auf einer griechischen Insel lebt. Die Mutter wurde gespielt von Meryl Streep, und Seyfried schaffte es im Film tatsächlich, nicht neben ihr oder hinter der allgemeinen Musical-Ausgelassenheit zu verblassen.

Seyfried ist 24, sie war bereits zweimal auf besagtem Klappcover der Vanity Fair. Sie hat bereits neun Kinofilme gedreht, zwei davon waren über die Maßen erfolgreich; besagter Mamma Mia! und Das Leuchten der Stille, der bei uns am 6. Mai startet und auf einem Buch des Bestsellerautors Nicholas Sparks basiert.

Dessen Geschichten unsophisticated zu nennen, wäre noch Schmeichelei. Diese hier ist sogar zum Fremdschämen kitschig. Der Held, gespielt von Channing Tatum, ist ein gutaussehender böser Junge, der Soldat bei einer Spezialeinheit ist. Seine Geliebte, die Heldin - gespielt von Seyfried - ist eine Kleinstadtschönheit mit riesigem Herzen und sehr vielen Haaren, deren großer Traum es ist, ein Heim für behinderte Kinder zu eröffnen. Der Held wird zu einem schwierigen Spezialeinsatz berufen, die Heldin verspricht, auf ihn zu warten, und in schmachtenden Briefen schreiben die beiden sich, was alles so ohne den anderen passiert.

Regisseur Lasse Hallström taucht, nein: Er wälzt diese Bilder abwechselnd in Schattierungen amerikanischer Südstaaten-Sonnenuntergänge und in den satten Farben exotischer Krisengebiete. Und hinterher fühlt man sich wie ein Kind bei einer Familienfeier, das aus lauter Sonntagslangeweile zu viel Kuchen gegessen hat.

Zwei vernünftige Schachzüge

Aber irgendwie kommt Seyfried auch da sehr würdevoll über die Runden. Außerdem: Wenn ein Film erfolgreich war, fragt zumindest in Hollywood keiner mehr danach, warum die Geschichte so übertrieben bescheuert, warum die Umsetzung so klischeeverliebt war. Das Leuchten der Stille verdrängte am Eröffnungswochenende in Amerika Avatar von Platz 1. Und wer in einem derart erfolgreichen Film mitspielt, spielt von heute auf morgen in der Oberliga.

Seyfried scheint sich selber ein bisschen über den Erfolg zu wundern und möchte lieber über ihren anderen Film reden, der in diesen Tagen erscheint und in dem sie die Titelrolle spielt: Die amoralische Verführerin in Chloe, einem Erotik-Thriller von Atom Egoyan in der Tradition von Basic Instinct. Auch nicht gerade ein Oscar-Anwärter, aber ambitionierte Unterhaltung mit einer recht freizügigen Sexszene zwischen Seyfried und Julianne Moore und ergo guten Kinokassen-Aussichten. Eine tolle Kollegin sei Moore, von der man viel lernen könne.

Etablierte Kolleginnen loben und Nacktheit in einem seriösen Thriller: zwei vernünftige Schachzüge im Leben so eines nächsten großen Dings.

Amanda Seyfried ist, wie gesagt, 24. Geboren wurde sie am 3. Dezember 1985. Ihre Mutter, eine Ergotherapeutin, beantwortet ihre Fanpost. Ihr Vater ist Apotheker und hat sie - nicht einmal Familiendramen haben die Hollywoodstars von morgen - in allem, was sie machen wollte, unterstützt. Die Seyfrieds stammen aus Allentown in Pennsylvania, und was man über Allentown weiß, - dass es ein Industriestädtchen mit vielen arbeitslosen Fabrikarbeitern ist - weiß man wahrscheinlich aus dem gleichnamigen Lied von Billy Joel. Das man aber wiederum in der Regel nicht kennt, wenn man 1985 geboren wurde. Amanda Seyfried zuckt jedenfalls beim Namen Billy Joel die Schultern und erzählt, dass Allentown gleichbedeutend ist mit Langeweile und dass sie Gesang studiert hat und Sängerin werden wollte, bevor sie mit elf für die Soap All my Children entdeckt wurde, in einer Modelkartei.

Ihr größter Wunsch heute? Sie möchte nach New York ziehen, nun, nachdem sie ein paar Jahre in Los Angeles verbracht hat, um, wie sie sagt, brav Kontakte zu knüpfen. So viel dazu, wenn die nächsten großen Dinge von morgen träumen.

Es war schon spannender

Bisher hat jeder Regisseur, auch Egoyan, Seyfrieds Haare inszeniert, als hätten sie ein Eigenleben. "Tatsächlich", sagt Seyfried, "es gibt Szenen, da verdrängen meine Haare mich fast."

So erging es übrigens schon einmal einem blonden Mädchen, das von New York aus Hollywood eroberte. Das war vor siebzig Jahren, und das Mädchen wurde weltberühmt als Veronica Lake. Das Kinopublikum war so besessen von ihren langen blonden Kaskadenlocken, dass ihr Studio ein spezielles Glanzöl entwickelte und Lake vertraglich verbot, sich die Haare abschneiden zu lassen.

Seyfrieds Situation ist gar nicht mal so weit davon entfernt. "Ich würde sie mir wirklich gerne abschneiden", sagt sie, "aber ich hätte gerne irgendeine große Kosmetik-Kampagne. Und dazu brauche ich dann meine Haare." Klingt sinnvoll. Jetzt muss Seyfried los zum nächsten Interview, und morgen dann weiter in die nächste Stadt. Sie packt ihren Blackberry ein und sagt freundlich Goodbye zu einer Platte voller Rohkost.

Wer auf dem Vanity Fair-Cover ihr in Zukunft wohl am ehesten die Rollen vor der Nase wegschnappen wird?

"Carey Mulligan", sagt sie maschinengewehrfeuerschnell. Aber auch die anderen seien phantastisch, und überhaupt, die Konkurrenz an guten neuen Schauspielerinnen sei geradezu enorm.

Es war bestimmt schon mal spannender, eine von ihnen zu sein.

© SZ vom 10.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: