Im Kino: Mary & Max:Mitgefühl für Knetklumpen

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Von den Klassenkameraden gehänselt, von den Eltern vernachlässigt: Im wahren Leben wäre Mary ein Fall fürs Jugendamt - doch ihr Schöpfer hat sie mit der Widerstandskraft eines Animationshelden ausgestattet.

Anke Sterneborg

Mary hat es wahrlich nicht leicht: Ihre Augen haben die Farbe schmutziger Pfützen und auf ihrer Stirn prangt ein unvorteilhaftes Muttermal. Von ihrer kleptomanischen und alkoholsüchtigen Mutter wird das achtjährige Mädchen als Unfall bezeichnet, und ihr Vater stopft lieber im Keller tote Vögel aus, als sich um seine lebende Tochter zu kümmern. Und auch sonst ist ihre in gedeckten Brauntönen gehaltene Welt, eine kleine Vorstadt von Melbourne in den Siebziger Jahren, ein ziemlich trostloser, einsamer Ort, weit und breit keine bunten Spielsachen, keine fröhlichen Freunde und keine niedlichen Haustiere.

Mary hat es wahrlich nicht leicht - und beschließt Hilfe zu suchen, bei einem Mann, dessen Namen sie im New Yorker Telefonbuch findet: Max, ein fettleibiger, jüdischer Arbeitsloser mit psychischen Problemen. (Foto: dpa)

Im wirklichen Leben wäre Mary Daisy Dinkle ein Fall fürs Jugendamt, doch ihr Schöpfer, der Australier Adam Elliot hat sie mit der besonderen Widerstandskraft von Animationshelden ausgestattet, mit gewitztem Einfallsreichtum, lakonischem Humor und einem schrägen Sinn für die Absurditäten des Lebens. Von den Klassenkameraden gehänselt und von den Eltern vernachlässigt, beschließt sie, Hilfe in der weiten Welt zu suchen, bei einem Mann, dessen Namen sie im New Yorker Telefonbuch findet. So gerät sie an den 44jährigen Max Jerry Horwitz, einen fettleibigen, jüdischen Arbeitslosen mit psychischen Problemen, der im Original von Phillip Seymour Hoffman gesprochen wird.

Die Welten, die der Australier Adam Elliot in liebevoller Kleinstarbeit mit vielen skurrilen Details aus Knete formt, mit fließenden Kamerabewegungen abfilmt und mit einem lakonischen Off-Kommentar begleitet, könnten nicht weiter entfernt sein vom heilen Disney-Universum. Mit zärtlicher Komplizenschaft macht Elliot extreme Außenseiter mit seltsamen Obsessionen, merkwürdigen Marotten und bizarren Krankheitsbildern zu den Helden seiner Filme. Nachdem der Titelheld seines 2004 mit dem Oscar ausgezeichneten Kurzfilms "Harvie Crumpet" am Tourette-Syndrom litt, ist Max mit Asperger, einer milden Form des Autismus, geschlagen.

Aus Marys Zufallsbrief entwickelt sich eine dauerhafte Brieffreundschaft zwischen zwei Menschen, die kaum unterschiedlicher sein könnten, und doch in ihrer Einsamkeit Seelenverwandte sind. Gemeinsam machen sie sich einen Reim auf die unerklärliche Welt, auf Alkoholismus, Sex und Tod, Einsamkeit, Depressionen und Panikattacken, auf Dinge, die höchstens in Animationsfilmen für Erwachsene vorkommen. Sie tauschen Rezepte, Ratschläge, Gedanken und originelle Süßigkeiten, und sie finden Trost und Zuwendung. Ihre tragikomische Geschichte ist zugleich herzzerreißend traurig und herzerwärmend rührend, und man kann sich nur wundern, wie sehr man mit ihnen fühlt, leidet und lacht. Obwohl sie doch nur Klumpen aus Knete sind.

MARY & MAX, AUS 2009 - Buch, Regie: Adam Elliot. Kamera: Pauline Pichota. Schnitt: Gerald Thompson. ( Im Original mit den Stimmen von Toni Colette, Philip Seymour Hoffman, Barry Humphries)

© SZ vom 27.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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