Im Kino: "Hilde":Unnachahmlich

Lesezeit: 4 min

Freizügig, frech und immer wieder von null auf hundert: Natürlich ist die große Hildegard Knef einen Film wert - nur "Hilde" ist nicht dieser Film.

Susan Vahabzadeh

Bevor die Kamera auf ihren nackten Körper schwenkt - sie liegt auf dem Boden und posiert für ein Aktbild - sieht man ihr Gesicht in Großaufnahme, wie sie eine niedliche Fratze zieht. Eine geschichtsträchtige Szene der jungen BRD, deren Mischung aus Freizügigkeit und Frechheit viel erzählt über die Frau, die man da sah: 1951 hatte die junge Schauspielerin Hildegard Knef der jungen Republik die erste Nacktaufnahme beschert, in Willi Forsts "Die Sünderin". Laxe Sexualmoral, Mord, Selbstmord, alles in einem Film. Aufschrei, Entrüstung, Demonstrationen vor den Kinos.

Das Wimpern-Klimpern funktioniert, aber die Ausstrahlung lässt sich nicht kopieren: Heike Makatsch als Hildegard Knef in "Hilde". (Foto: Foto: dpa)

Damals wurde gern behauptet, das eigentliche Thema des Films - Mord aus Mitgefühl - rechtfertige die Euthanasie in Nazi-Deutschland. Liest man diese Kritiken aber heute, hat man schon das Gefühl, das alles sei nur ein Vorwand gewesen - weil man die nackte Haut und die Erotik der "Sünderin" auf deutschen Leinwänden einfach nicht haben wollte.

Hilde Knef beschrieb später, warum sie den Aufruhr nicht hatte kommen sehen: Sie hatte die Säuglingsjahre der supersauberen BRD verpasst - zur selben Zeit scheiterte gerade ihr erster Versuch einer Hollywood-Karriere; und in den Jahren davor hatte sie Deutschland so sauber nicht finden können.

Die Pressekonferenz, in der sie die Moralapostel niederbügelt, gehört auch zu den besten Szenen in Kai Wessels "Hilde": Da tritt Hilde also vor die deutsche Öffentlichkeit und fragt, ob es tatsächlich, sechs Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, keine wichtigeren moralischen Themen zu diskutieren gibt als die vermeintliche Unsittlichkeit der "Sünderin". Da spürt man ihn, den hässlichen Geist dieser Jahre - und kann erahnen, warum die Kinder, die in dieser Enge aufwachsen mussten, der Knef einmal sehr nah stehen werden. Aber "Hilde", dem Film, geht dann sehr schnell die Luft aus.

Die echte Hilde hatte einen längeren Atem, und sie vertrat die Generation zwischen allen Stühlen - im Dritten Reich ein Kind, für die Heuchelei der Fünfziger zu ehrlich, für '68 zu alt. Im Jahr 1925 in Ulm geboren, während des Kriegs für die Ufa entdeckt und der erste Nachkriegsstar, als 1946 in Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns" das deutsche Kino von vorn begann, war Hilde Knef eine sehr begabte Schauspielerin - ganz sicher.

1948 holte Selznick sie nach Hollywood, wo sie sich - zu jung, zu unerfahren - nicht durchsetzte. Aber später wurde sie einer der wenigen internationalen Stars aus Deutschland, am Broadway, im Kino, auf der Bühne. Sie war keine klassische Schönheit, auch wenn die Maskenbildner alles in sie hineinschminken konnten; ihre Bücher wurden Bestseller nur ihres Inhalts wegen, denn ihre Sprache war fürchterlich; und sie war, so Ella Fitzgerald einmal, die beste Sängerin ohne Stimme. Aber sie hatte eine Persönlichkeit - und stand mit ihrer ganzen Person dafür ein.

Der Skandal um die "Sünderin" machte Hildegard Knef, Hilde Neff hieß sie im Ausland, erst richtig berühmt, ließ sie zu einer Legende werden, die nun - sieben Jahre nach ihrem Tod - mühelos einen ganzen Film tragen könnte. Wenn der Film nur wüsste, was er eigentlich mit ihr anfangen soll.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Film den Zuschauer mit roten Rosen umgarnt.

Bilder von Hildegard Knef
:Drama-Queen

Für sie soll's rote Rosen regnen: Hildegard Knefs Leben als Film - den hätte die Diva wohl selbst gerne gesehen. Bilder eines erstaunlichen Lebens.

Ruth Schneeberger

Dramaturgisch scheint "Hilde" den Song "Für mich soll's rote Rosen regnen" Zeile für Zeile abzuarbeiten - und fängt damit ganz schön an. Lässt ein wenig Zeitgeist aufblitzen, schwelgt in Dekors und Kostümen, fängt die Sixties-Ästhetik einer Garderobe ein, lässt die Ärmlichkeit der Kriegsjahre spüren und den bürgerlichen Reiz des Hauses ihres Geliebten zu Nazizeiten, des "Reichsdramaturgen" Ewald von Demandowsky - auf den sie später, "er war nicht nur ein Mitläufer", nicht eben stolz war.

Den Rahmen für die Erinnerungen an die Anfänge bis zum Erfolg als Sängerin bildet ein Konzert in der Berliner Philharmonie, das der Film schicksalhaft zuspitzt. Dass ihr Entdecker, der Filmproduzent Erich Pommer, nicht an eben diesem Abend starb, und dass es keineswegs der Start in eine Musikkarriere war, sondern schon auf deren Gipfel stattfand, Jahre nach den Broadway-Auftritten, Jahre nach den ersten Goldenen Schallplatten: geschenkt.

Die Liedermacherin

Eher schon ist das Problem dieses Films, dass er dauernd fragt, wer Hilde Knef war, dazu dann aber keine Meinung entwickelt. Wenn dieses Konzert - das erste Popkonzert in der Berliner Philharmonie - schon so wichtig ist: Wäre der Grund dann nicht, dass sie ihr Publikum erreichte, sie auf diesem Gipfel angekommen war, weil sie mit ihren Liedern etwas zu erzählen hatte, nämlich all das, was schiefgegangen war? Weil sie - das ist es, was ihren Reiz als Sängerin ausmacht - den Trotz in ihrer Stimme über Jahre hinweg, öffentlich und im Privaten, erworben hatte, weil er echt war, und die Menschen das spürten?

Das könnte Heike Makatsch, die in jeder Szene Heike Makatsch bleibt, auch wenn sie noch so gekünstelt berlinert, gar nicht spielen. Aber der Film mag auch partout nicht erzählen, wie Hildegard Knef sich den Ruf erworben hat, ein Stehaufmännchen zu sein und sich einen Teufel drum zu scheren, was die Öffentlichkeit von ihr dachte. Jedes Oben braucht ein Unten, und wahrscheinlich war Hilde Knef erfolgreich, weil sie das auf der Achterbahn ihres Lebens ganz unmittelbar erfahren hatte.

Sanfter Fall

Wessels Film aber federt jede Abwärtsbewegung nach ein paar Sekunden ab und beschreibt ansonsten eine Erfolgskurve. Nicht mal richtig pleite darf sie sein - einmal erwähnt sie am Rande, das Geld sei alle, worauf der zweite Gatte David Cameron ihr ewige Liebe schwört und Hilde die rettende Idee mit der Plattenkarriere hat. "Mir sollten sämtliche Wunder begegnen" ist eine Klage ans Schicksal, "sollte mich fügen und will immer noch siegen", sang eine Frau, von der alle wussten, dass sie oft verloren hatte.

Am Ende konnte die Nachkriegsgeneration sich mit ihr identifizieren, weil sie wusste, wie man mit Niederlagen lebt, sich hochrappelt und von vorne anfängt. Mehrfach hat sie wirklich wieder bei null angefangen, sie kam aus nichts als aus den Trümmern eines kaputtgebombten Berlin, in dem mit den Häusern auch alle Ideale neu aufgebaut werden mussten. War's eben Erfahrung statt Offenbarung - was macht das schon?

Wessels "Hilde" kommt ihr nie nah genug, um sie zu beschädigen, aber er fängt eben auch nichts von ihrem Zauber ein, und wenn Heike Makatsch Hildes alte Lieder trällert, schwingt in ihrer Stimme nichts Tieferes mit als das Scheppern eines mittelprächtigen Imitationsversuchs. Einer großen Stimme kann man ja nacheifern - eine große Ausstrahlung aber ist von Haus aus unnachahmlich. Vielleicht liegt darin das Scheitern begründet - dass Hilde im Herzen eine Geschichte ist, die man gar nicht nacherzählen kann; sie hat sich selbst einmal erzählt und ist unwiederholbar.

HILDE, D 2009 - Regie: Kai Wessel. Drehbuch: Maria von Heland. Kamera: Hagen Bodanski. Mit: Heike Makatsch, Dan Stevens, Monica Bleibtreu, Hanns Zischler, Michael Gwisdek. Warner, 136 Minuten.

© SZ vom 11.03.2009/irup/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: