Humorkritik:Läuse und andere Lüstlinge

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Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker erzählt im Programm "Volksbegehren" eine gut recherchierte "Kulturgeschichte der Fortpflanzung"

Von Oliver Hochkeppel

Wenn man sich einen Schelm basteln müsste, dann käme vielleicht so etwas wie Jürgen Becker heraus: eine kleine, behende, aber trotzdem gemütliche Figur mit wachen Augen und einem immer leicht spöttisch geschürzten Mund. Kölner sollte sie am besten auch sein, also von Geburt an durch eine Art fatalistisches Verhältnis zum Humor sozialisiert, das keinen guten Gag und Kalauer liegen lässt, und mit einem a priori fürs Komische geeigneten Dialekt ausgestattet. Wenn so einer, also eben der Kölner Kabarettist Jürgen Becker, nun ein ganzes Programm dem Thema Sex und Fortpflanzung widmet, könnte man das Schlimmste befürchten. Doch wer seinen TV-Dauerbrenner "Mitternachtsspitzen" kennt oder womöglich in sein zugrundeliegendes Buch "Zu dir oder zu mir" hineingespitzt hat, der weiß, dass der 60-Jährige zu klug, gesellschaftlich engagiert und geschmackvoll ist, um ins Populistische oder gar in die Herrenwitz-Ecke abzugleiten.

Live im Lustspielhaus wurde Beckers "Volksbegehren" denn auch ein großes, zu Teilen sogar nachhaltig lehrreiches Vergnügen. Was an den drei Grundpfeilern lag, die Becker in sein Programm eingezogen hat: Zum einen unterfüttert er sein Thema wissenschaftlich, und das alles andere als trocken. Von der sich selbstbefruchtenden Blattlaus bis zur sich zweigeschlechtlich vermehrenden Birke nähert er sich zunächst der gar nicht so selbstverständlichen Frage "watt dat üwwerhaupt soll", dieser ganze "Sex-Trabbel" mit der ewigen Partnersuche, dem Gebalze und der aufwendigen Aufzucht. Um bei der Gefahrenabwehr gegen Bakterien durch die Durchmischung des Erbmaterials und damit automatische beim Plädoyer für eine libertäre Haltung zum Tabu-Thema Sex zu landen.

Die zweite Stütze ist die Illustration durch die Kunstgeschichte, was das Ganze wirklich zu einer kleinen "Kulturgeschichte der Fortpflanzung" macht, wie es der Untertitel verheißt. Besonders lustig wird die, wenn Becker auch Wahlplakate auf ihre sexuellen Botschaften abklopft. Womit wir auch schon bei Beckers letzter Zutat sind, der Übertragung aufs Politische. Schon zum Einstieg geht er brandaktuell auf die Aufplusterei von Boris Johnson und HC Strache ein, am Schluss steht die Analyse der Angst vor dem Fremden und eine Bekenntnisrede für den liberalen contra den autoritären Traum. Alles in allem ein starkes Stück, das Anfang Januar noch einmal in Augsburg zu sehen ist.

Jürgen Becker: "Volksbegehren" , weitere Aufführung an Fr., 3. Jan., 19.30 Uhr, Parktheater im Kurhaus Göggingen, Augsburg

© SZ vom 16.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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