Hugh-Laurie-Konzert in Berlin:Pessimismus ist das Beste

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Wird am Dienstag 54: Hugh Laurie, ehemals "Dr. House", inzwischen gefeierter Blues-Musiker. (Foto: AFP)

Warum denn immer glücklich sein, wenn ein gut gepflegter Hang zur Misere viel praktischer ist? Mit umwerfendem Blues begeistert Hugh Laurie, besser bekannt als "Dr. House", das Konzertpublikum. Berlin und Blues sind nämlich beste Freunde. So auch beim "Festival der europäischen Versager".

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Dieser "Dr. House" ist ein ganz und gar mürrischer Zeitgenosse. Mit den ihm anvertrauten Patienten geht er alles andere als freundlich um, seine Kollegen behandelt er bisweilen wie Aussätzige. Um seine Umwelt, die ihn nervt, zu ertragen, greift er auf Arroganz und Überheblichkeit zurück - und seine körperlichen wie seelischen Schmerzen betäubt er immer wieder mit Drogen.

Ein formidabler Kotzbrocken also, den der britische Komödiant und Schauspieler Hugh Laurie in der US-Krankenhausserie "Dr. House" gibt. Wäre da nicht seine fachlich überragende Kompetenz als Diagnostiker, er wäre als Arzt längst gefeuert worden. Und wären da nicht immer wieder Ansätze aufflammender Moral, immenser Verletzlichkeit, äußerster Sensibilität, überdurchschnittlicher Intelligenz, verzweifeltem Witz und mitleiderregendem Leiden an einer chaotischen Welt, dann wäre dieser Dr. House auch nicht so unfassbar beliebt beim Publikum.

Acht Jahre lang lief die Serie überaus erfolgreich im deutschen Fernsehen, Ende 2012 wurde sie eingestellt - und ein halbes Jahr mussten die Fans nun warten, um ihren hochverehrten Anti-Helden wiederzusehen, wenn auch in leicht veränderter Form. Am Freitagabend war es soweit: Hugh Laurie gab ein Konzert in Berlin, das einzige deutschlandweit. Dementsprechend gefüllt war der Admiralspalast.

Ein Kauz betritt die Bühne

Zum Start betritt Laurie die Bühne mit ungelenk großen Schritten, misstrauisch mit erstaunten Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln in den Saal stierend. Ein Kauz, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt. Am Ende verlässt er den Saal unter dem tosenden Applaus des begeisterten Publikums, das er zwei Stunden lang großartig unterhalten hat, als selbstsicherer und jovialer Weltstar. Was ist dazwischen passiert? Nichts weniger als die wundersame Verwandlung des verschrobenen TV-Arztes zum heißgeliebten Bühnenstar, der an diesem Abend Berlin mit Blues gerockt hat, als ob es kein Morgen gäbe.

Was nicht alle wissen: Laurie hat immer schon Musik gemacht, ist ein passionierter Pianist, zusammen mit etwa Schauspielkollegin Teri Hatcher tritt er in der "Band from TV" in den USA zu Wohltätigkeitszwecken auf. Sein Debüt-Album (Let Them Talk) mit Blues-, Gospel- und Jazzklassikern erschien 2011 und verkaufte sich rund eine Million Mal. Sein zweites Album (Didn't It Rain) ist neu auf dem Markt - und die Berliner wissen es sehr wohl zu schätzen, dass der Meister es ihnen höchstpersönlich nahezubringen gedenkt.

Unerschütterlich verschroben

Schon das Bühnenbild ist ein kleines Meisterwerk: Durch geschickte Lichteffekte werden die schwarzen Vorhänge des Admiralspalastes mal in Senfgelb, mal in Knallgrün, mal in Altrosa getaucht, immer passend zum Song; dazu vervollkommnen schräge Stehlampen mit altmodischen Schirmen den Eindruck von unerschütterlicher Skurrilität. Außerdem wird die Bühne ausgefüllt vom bunten Erscheinungsbild und vor allem der Klang- und Stimmgewalt der Laurie begleitenden "The Copper Bottom Band" - er hätte keine bessere finden können, inklusive der beiden absolut mitreißenden Sängerinnen Gaby Moreno und Jean McClain. Auch Grammy-Preisträger Taj Mahal ist an Bord - Laurie sitzt am Rande am Klavier, spielt zwischendurch Akustikgitarre und muss mit einem Tangotänzchen nur noch für die richtige Stimmung sorgen. Den Rest erledigt die Band.

Und das mit der Stimmung, das kriegt er hin. Und wie. Zu jeder der Blues-Nummern, überwiegend aus New Orleans, spricht er ein Intro. Im Gegensatz zu seiner TV-Rolle nicht im US-Slang, sondern in feinem Britisch. Fast erinnert er dabei an einen anderen Hugh aus dem Fernsehen, nämlich an Hugh Grant, der ebenfalls gerne die verschrobenen Typen spielt, nur sind seine meist charmanter als Dr. House. An diesem Abend aber ist Hugh Laurie mindestens so charmant wie Hugh Grant.

"Wir könnten diesen Song ewig spielen - und wenn Sie Pech haben, dann tun wir das auch!", scherzt er. Oder: "Sie werden sich wundern, aber bei dem nächsten Lied handelt es sich um einen sehr, sehr alten Song." Britischer Humor und sehr viel Ansprache ans Publikum - zusammen mit teils altbekannten, teils vergessenen und teils über 100 Jahre alten traurigen Blues-, nachdenklichen Jazz- und mitreißenden Gospelnummern wie "Careless Love", "Unchain My Heart", "Kiss Of Fire", "I Hate A Man Like You" oder eben "Didn't It Rain" ist diese Mischung unwiderstehlich.

Klug auch, dass Laurie nicht alle Nummern selber singt, sondern die anspruchsvolleren Passagen und die thematisch für seinen Typ eher unpassenden Songs seinen professionellen Sängern überlässt. Doch im Entertaining macht ihm hier niemand etwas vor (zum Abschluss springt er sehr ironisch zum Dschungelbuch-Song "I Wanna Be Like You" über die Bühne), und wohl auch wenig anderen Darstellern auf der Welt nimmt man Lieder über Herzschmerz, Weltschmerz und sämtliche anderen Darbietungen von Seelenpein so leicht ab wie diesem ewigen Dr. House. Hugh Laurie ist Blues. Und Blues ist Berlin.

Es gibt vielleicht wenige Verbindungen im Universum, die so viel Sinn machen wie diese. Passenderweise gab es an diesem Wochenende noch eine Reihe weiterer Veranstaltungen in der Hauptstadt, die sich mit dem Thema Blues, Pessimismus und Pein auseinandersetzten.

Etwa die parallel zum Konzert stattfindende Vernissage der deutsch-australischen Künstlerin Natascha Stellmach, die unter dem Motto "I don't have a gun" (noch bis 20. Juli in der Galerie Wagner + Partner am Strausberger Platz) Fotos und Texte zu ihrem eigenen Burnout ausstellt und überlebensgroße pinke Frauenfiguren mit Waffen an die Wand malt. Ausgewählte Besucher werden mit einer tintenfreien Tätowierpistole bearbeitet - provokant und irritierend pessi- und optimistisch zugleich.

Ironie und Versagen

Außerdem im Angebot an diesem Wochenende: Das "Festival der europäischen Versager", das in der Kneipe mit dem regulären Namen "Club der polnischen Versager" am Rosenthaler Platz 27 Stunden lang ein Zuhause für alle bietet, die vom Seelen-Blues gar nicht genug bekommen können.

Gleich im Anschluss an Lauries Konzert debattierten etwa illustre Persönlichkeiten wie Matthias Matussek ( Spiegel) und Jacqueline Henárd am Nierentisch teils sinnfrei über Europas Sinnkrise. Eröffnet wurde das nur teilweise ernstgemeinte Spektakel von Claudius Seidl ( FAS) - und dass Helge Schneider zwar angekündigt war, aber dann doch nicht kam, passte auch prima ins Konzept. Nach diversen Autorenlesungen und Musikvorführungen machten es sich die Teilnehmer von vier Uhr nachts bis 10 Uhr morgens beim "European Chillout" auf ausgelegten Matratzen zu Pianomusik gemütlich, denn wer so viel übers Versagen nachdenkt, der muss auch einfach mal ausruhen.

"Ziel des Festivals ist es, bisherige Kriterien eines 'gelungenen Europa' in Frage zu stellen und mithilfe von Film, Fotografie, Literatur, Musik, Kabarett, Tanz und Ironie nach alternativen Entwürfen zu suchen. Dem kühl kalkulierenden Berufseuropäer wird ein Wesen gegenübergestellt, dass sich (Selbst-)Zweifel erlaubt und dabei königlich amüsiert", so die Veranstalter.

Wenn dieses Wesen mal nicht ganz stark an Hugh Laurie erinnert. Und das königliche Amüsieren, das war an diesem Abend ganz auf der Seite der Berliner. "Optimisten haben gar keine Ahnung von den freudigen Überraschungen, die Pessimisten erleben", soll der deutsche Arzt und Schriftsteller Peter Bamm einst gesagt haben. Wer dieses Blues-Konzert erlebt hat, der weiß genau, was damit gemeint ist.

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