"Hotel Lux" im Kino:Weltgeschichte durch die Klobrille

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Bully Herbig als Wahrsager Stalins: Er spielt einen Komödianten, der aus Nazi-Deutschland geflohen ist und den Diktator in allen Fragen des Terrors beraten muss. Leander Haußmanns Posse "Hotel Lux" wird zur absurden Geschichtsstunde - und ist dabei kein Klamauk, sondern eine Komödie voller Abgründe.

Doris Kuhn

Vielleicht sollte man sich als erstes klarmachen, dass dies kein Bully-Herbig-Film ist. Niemand muss befürchten, dass nach Winnetou, Sissi und Wickie nun auch Josef Stalin in den großen Parodien-Fleischwolf geraten ist, der Deutschlands erfolgreichste One-Man-Komödienfabrik antreibt. Im Gegenteil: Hotel Lux ist ein Film, der zwar den talentierten Schauspieler Michael Herbig nutzt, in dem aber vergleichsweise wenig Bully vorkommt - und das, obwohl Herbig diverse Identitäten annimmt und sich gelegentlich sogar einen Stalin-Schnauzer anklebt. All das aber sind nur Verkleidungen eines Komödianten, der in diesem Film die Menschheit auf der Flucht repräsentiert, auf der Flucht und gleichzeitig bei einem Hochseilakt.

Michael Bully Herbig als Varieté-Künstler Zeisig (Mitte) muss vor den Nazis nach Moskau fliehen. (Foto: dapd)

Hans Zeisig heißt der Mann, am Anfang zumindest. Ein einziger Hitlerwitz, und schon muss der Kabarettist aus dem nationalsozialistischen Berlin des Jahres 1938 fliehen. Mit falschem Pass und falschem Bart reist er nach Moskau, steigt in einem Hotel namens Lux ab - und sieht sich im Grunde nur auf der Durchreise nach Hollywood. Da jedoch irrt der Exilant. In dem Moment, in dem er das Hotel betritt, beginnt eine Verwechslungskomödie, die ihn durch zahlreiche Kalamitäten führt - und den Zuschauer mitten hinein in die Zeit von Stalins "Großen Säuberungen". Die Ereignisse in dem realexistierenden Hotel Lux werden historisch einigermaßen korrekt gezeigt, inhaltlich aber burlesk ins Absurde verschoben.

Das Lux war seit 1921 Unterkunft und Fluchtpunkt für kommunistische Emigranten, die den Schutz der Sowjetunion suchten, um der Repression in ihren Heimatländern zu entgehen - unter den Deutschen zum Beispiel die Herren Wehner und Ulbricht. Ein konspiratives Hotel, so ist es überliefert, voll mit Geheimnissen, falschen Pässen, politischen Visionen. Der Schutz allerdings endete mit den Massenverhaftungen, die Stalin zwischen 1936 und 1938 durchführen ließ, und die auch durch das Hotel Lux eine tödliche Schneise schlugen. Der Film wiederum sucht diese Atmosphäre der allgegenwärtigen Paranoia, um den Hotelaufenthalt einmal im Detail zu betrachten. Modellgast ist der demonstrativ unpolitische Zeisig, der immerhin weiß, dass ein falscher Bart, richtig angeklebt, oft das Überleben sichert.

Schön lakonisch schnappt sich der Film nun alles, was dieses Milieu zu bieten hat - und übertreibt nur die Nuancen. Schon sitzt man in den schmerzhaftesten Sitzungen der Kommunistischen Internationale, sieht die stürmisch erblühende Liebe zur Propaganda, erlebt einen entfesselten politischen Definitionsmarathon - und wird mehrfach mit der Frage konfrontiert, warum Diktatoren sich so vertrauensvoll dem Okkultismus zuwenden.

Denn der im Lux gestrandete Komödiant wird plötzlich zum Wahrsager Stalins, womit er sich zwar ein wenig Sicherheit erkauft, aber auch eine sehr zweischneidige Aufgabe einhandelt - jetzt muss er den Diktator in allen Fragen des Terrors beraten. Diese Sitzungen verlaufen konspirativ, bei laufenden Wasserhähnen, Stalin auf dem WC-Deckel sitzend, der Übersetzer bald erschossen hinterm Duschvorhang. Weltgeschichte, einmal konsequent durch die Klobrille gesehen.

Schauspieler Jürgen Vogel
:Kleiner Hai

Preußenkönig und Vergewaltiger, Impro-Komödiant und Melancholiker - Jürgen Vogel mag die Gegensätze in seinen Rollen. Der Autodidakt brachte sich das Schauspielern selbst bei. Jetzt ist er als Hitler-Imitator in "Hotel Lux" wieder im Kino zu sehen. Ein Porträt.

Ob einer im Strudel gefährlicher politischer Umwälzung unpolitisch bleiben kann - das ist eine der Fragen, die dabei auftauchen. Bei der Beantwortung gehen zwei andere Hauptfiguren voran: Siggi (Jürgen Vogel) als bodenständiger Komödiantenkollege, und Frida (Thekla Reuten) als leidenschaftliche Kommunistin. Sie beide unterfüttern den Film mit genug Talent und Liebe, dass er sich alle Albernheiten leisten kann.

Regie führte Leander Haußmann, am Drehbuch hat er auch mitgearbeitet. Haußmann hat schon aufgrund seiner Lebensgeschichte mehr über den Kommunismus zu erzählen als nur Komödiantisches. Er ist in der DDR aufgewachsen, wahrscheinlich trägt das dazu bei, dass in den langen Fluren des Hotels, in den Mienen der Russen, in den undurchschaubaren Machtstrukturen immer genug Bedrohung bleibt, um die Geschichte nicht in reinen Klamauk abzudrängen. Denunziationen werden erzwungen, Mütter vor ihren Kindern verhaftet. Diese Abgründe tun sich aber so beiläufig auf, dass der Zuschauer noch kichert, während er neuen Schrecken herannahen sieht.

Mit Komödie in ihrer glamourösesten Erscheinungsform fängt Hotel Lux an, in Berlin, wo das Varieté noch seiner vornehmsten Aufgabe nachkommt - respektlos zu sein. Hier treten neben einem Hund, der Goebbels imitiert, Herbig und Vogel in einer Nummer als Stalin und Hitler auf. Sie zeigen, wie diese beiden sich beim Kasatschok verbrüdern, und der ganze Rest des Films beweist nebenher, dass Künstler im Leben eigentlich nur eine große Idee brauchen: Von der Bühne in Berlin nimmt Zeisig den absurden Gag einer Freundschaft zwischen Nazis und Kommunisten mit, dann kommen seine Auftritte als Stalin-Flüsterer - und zack, endet der Film mit dem Hitler-Stalin-Pakt im August 1939. Soviel zum Geschichtsunterricht, der nebenbei natürlich auch stattfindet.

Man muss sich wegen und trotz all der flottierenden Einfälle in Hotel Lux kein einziges Mal ärgern. Sie zünden selten in lautem Gelächter, aber sie amüsieren immer. Das kann man von einer deutschen Komödie nicht sehr oft sagen. Man sieht darüber hinaus, keineswegs verschlüsselt, eine sympathische Sehnsucht nach Lubitsch, nach Chaplin, womöglich nach Buñuel; nach Regisseuren also, die die Mittel der Komödie genutzt haben, um einen Kommentar zu politischen Systemen abzugeben - zu einer Zeit allerdings, wo noch wesentlich mehr auf dem Spiel stand. Eine Komödie, in der Walter Ulbricht beim Nachmittagstee ein Mäuerchen aus Würfelzucker baut - die hätte man hierzulande gern schon in den sechziger Jahren gesehen, mitten im deutschen Verdrängungskino. Vielleicht hätte das die deutsche Filmgeschichte etwas kapriziöser gestaltet.

© SZ vom 28.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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