Hörbuchtipps:Die Saga vom Besitz

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Die britische Forsyte-Saga, Vladimir Kaminers Frauenlied und Robert Menasses "Hauptstadt".

Von Jens Bisky

Die Saga vom Besitz

Der junge Mann, der sich mit June verloben sollte, hatte beim Antrittsbesuch die Tanten mit einem verstaubten, formlosen Ding verunsichert, das er auf dem Kopf trug. Keinem Forsyte wäre es je in den Sinn gekommen, zu solchem Anlass einen weichen, grauen und obendrein nicht neuen Hut zu tragen. Eine der Tanten hatte sogar versucht, das Ding vom Stuhl zu scheuchen, da sie es in ihrer Kurzsichtigkeit für eine Katze hielt. Es war dieser Hut, der in der Familie für ein Gefühl der Bangigkeit sorgte, als sie zur Verlobung Junes mit dem Architekten Philip Bosinney, der kein Vermögen besaß, zusammentrafen. Und ihre Bangigkeit war nicht unbegründet. Die Familie mit ihrem ausgeprägten Sinn für Besitz sah dramatischen Konflikten entgegen, verwirrender Schönheit, rebellischen Naturen, Künstlern.

John Galsworthy hat für seine "vornehme Schilderungskunst" in den Romanen der "Forsyte-Saga" 1932 den Literaturnobelpreis erhalten, in den Sechzigern machte eine 26-teilige BBC-Serie die Familie populär, 2003 inszenierte Leonhard Koppelmann ihre Schicksale als Hörspiel, wofür er freilich raffen, straffen, streichen musste. Gut 2000 Minuten länger ist die ungekürzte Lesung Thomas Dehlers. Er lässt die Sätze schwingen, gibt ihnen Raum zum Atmen - und schafft damit jene Atmosphäre der Ironie, die Galsworthys Prosa so auszeichnet wie das Streben nach Besitz die Forsytes. Ohne Musik und Geräusche entsteht auf diese Weise ein Klangraum, in dem jede der Dutzenden Figuren angemessen auftreten kann, in dem jede Verwechslung mit dem Leben oder der Sozialreportage ausgeschlossen ist. Galsworthy wollte von Menschen erzählen, nicht von Fortschritten, Telefon, Flugzeug, Kino. Er hoffte, den besseren Mittelstand Englands in seinen Romanen wie unter Glas zu bewahren. Und so ist es nicht nur richtig, dass Thomas Dehler nicht hetzt und auf Effekte, Pointen schielt, sondern zugleich ein ungeheurer Spaß für Hörer. Nach den Geschichten dieser Familie wird rasch süchtig, wer glaubt, dass Schönheit, Besitz, Menschen noch längst keine alten Hüte sind.

Wladimir Kaminer liebt seine Frau

Die Frau, über die Wladimir Kaminer einiges weiß, heißt Olga und hat, als sie noch ein kleines Mädchen war, viele dicke Bücher gelesen. Dass diese meist langweilten, änderte nichts an der Überzeugung, sie enthielten die Weisheit der Welt. Und die würde man später wohl brauchen können. Geboren und aufgewachsen auf der Insel Sachalin, erschloss sie sich lesend eine Welt. Als sie dann nach Petersburg kam, hätte sie beinahe jede Frage zur französischen Literatur beantworten können. Doch davon wollte in den Clubs und Salons kaum einer etwas wissen. Die meisten fragten sie nach Sachalin. Die Geschichte der Lektüren ist damit noch nicht zu Ende. Sie ist eine unter vielen, die Kaminer selbst vorträgt. Deren Nutzen erschließt sich sofort: Sie sind unterhaltsam, man lernt, russische Namen weniger falsch auszusprechen und auf Widrigkeiten erwachsen zu reagieren: mit Humor und Distanz zu sich selbst.

Christian Berkel liest Menasse

Wie gut konstruiert Robert Menasses Roman "Die Hauptstadt" ist, mag man in der Freude des Kennenlernens überlesen haben. Vielleicht hat man die Hinweise darauf übersehen, Kapitelüberschriften wie diese: "Zusammenhänge müssen nicht wirklich bestehen, aber ohne sie würde alles zerfallen" oder - viele Seiten später -: "Wenn etwas zerfällt, muss es Zusammenhänge gegeben haben". In Christian Berkels vollständiger Lesung des Romans, der in diesem Jahr den Deutschen Buchpreis gewann, wird man beiläufig verführt, auf die Konstruktion zu achten, das Ineinander der verschieden gestimmten Situationen, das Durcheinander der Brüsseler Vergeblichkeiten. Denn Berkel gelingt es, den Figuren einen charakteristischen Ausdruck zu geben, ihr Befinden und Bedenken - "Wer hat den Senf erfunden?" - mittels Stimmführung unverwechselbar werden zu lassen. Dabei vermeidet er das karikierend Übertreibende, er wird nie zum Stimmenimitator. Sein wichtigstes Mittel ist das Sprechtempo, er schlägt große Bögen oder fällt ins Stakkato, er trifft den Ton der Aufregung ebenso wie den der zähen Ruhe. Beides gehört schließlich zum Behördendasein, das Robert Menasse der Gegenwartsliteratur neu erschlossen hat. Man sein, dass sein Blick auf die EU ein melancholischer ist, Berkel zeigt, wie viel Abwechslung, Verschiedenheit in der Melancholie möglich ist.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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