Historische Waffen:Degen für daheim

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Wer kauft Bidenhänder, Richtbeile oder Schalenrapiere? Anwälte zum Beispiel, die damit ihre Kanzlei schmücken. Ein Besuch bei einer Auktion in Wien.

Von Rudolf Neumaier

Der Fischschwanzdegen könnte schon mal eine Gurgel durchgeschnitten oder Herzen durchbohrt haben. Er stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert, da wurden Gefechte noch mit blanken Waffen ausgetragen. Seine Klinge ist gut einen Meter lang, Griff und Knauf sind vergleichsweise kunstvoll gearbeitet, zumindest wirken andere Stücke daneben etwas karger. Der Degen ist mit einem Namen beschriftet: Sebastian Hernantes. Klingt nach einem austro-spanischen Offizier, die Habsburger waren zu dieser Zeit beides, österreichisch und spanisch. Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges haben Schmiede solche Degen für die Stadtgarde produziert, Wien wurde belagert. In dem Stück steckt Weltgeschichte.

Degensammlern kann man keinen Pallasch für einen Schalenrapier vormachen

Manche Auktionshäuser sind kulturhistorische Museen auf Zeit. Wenn zum Beispiel im Wiener Dorotheum eine Versteigerung von historischen Waffen, Uniformen und Militaria ansteht, wird der ganze Maria-Theresien-Saal fünf Tage lang nur mit den Losen bestückt. Sie werden nicht ganz so liebevoll präsentiert wie die Exponate ambitionierter Ausstellungen. Aber immerhin, sie liegen gut bewacht hinter sicheren Glasscheiben. Wer sie näher unter die Lupe nehmen will, dem sperren Saaldiener die Vitrinen auf und holen die Stücke zur Begutachtung heraus. Man darf sie sogar berühren. Für Museumskuratoren und Konservatoren, die hier auch hin und wieder vorbeikommen, wenn sie interessantes Material wittern, muss es ein grauenhafter Anblick sein, wenn historische Stücke durch Laienhände gleiten.

Wobei für die übliche Kundschaft des Wiener Dorotheums in der Dorotheergasse, kaum fünf Minuten von Hofburg und Albertina gelegen, die Bezeichnung Laie fast wie eine Beleidigung klingen dürfte. Der Saaldiener erzählt, die meisten Besucher kämen hier nicht einfach nur so vorbei, um sich am Anblick alter Säbel und Schwerter zu ergötzen, wofür sie der Hofjagd- und Rüstkammer Eintrittsgeld bezahlen müssten. Die Waffenauktions-Klientel ist immer auf der Suche. Und einem echten Degensammler kann man eben keinen französischen Kavalleriedegen für einen ungarischen Pallasch oder einen Schalenrapier vormachen. Und schon gar nicht für einen Fischschwanzdegen, denn den würden Waffensammler blind erkennen - an der S-förmigen Parierstange ebenso wie am Fischschwanzknauf. Für 1300 Euro stand dieses elegante Exemplar im Katalog der letzten Auktion.

Zu den spektakuläreren Stücken dieser Ausstellung zählt zweifellos ein Richtbeil aus der Frühen Neuzeit. Mal sehen, wie schwer so was ist. Die dienstbaren Geister von der Saalwache sind sofort mit dem Vitrinenschlüssel zur Stelle. Es liegt gut in der Hand. Sicher könnte es gute Dienste beim Spalten dickerer Holzblöcke leisten, allein für normale Fichtenscheite wäre es unhandlich. Andererseits ist es hier auf 1000 Euro geschätzt, dafür gibt es schon gute hydraulische Holzspalter, und es fühlt sich ziemlich unangenehm an mit seiner Vorgeschichte. Klebt noch Blut dran?

Ein vergleichsweise junger Mann, schätzungsweise Ende dreißig, hat es gerade ebenfalls inspiziert. Die Sammler hier, dem äußeren Anschein nach überwiegend Rentner, sind so diskret, dass sie einem Journalisten in diesen Angelegenheiten niemals ihren Namen diktieren würden - und auch so diskret, dass sie nicht laut drauflosplärren, wenn sie einen Irrtum entdecken. Doch eitel genug, die Mitmenschen an der eigenen Expertise teilhaben zu lassen, sind sie dann auch.

"Das Richtbeil, das Sie da anschauen", raunt der Beil-Experte, "ist kein Richtbeil." - "Nein?" - "Nein. Da wette ich." - "Was ist es denn dann?" - "Das ist ein Zimmermannsbeil. Normales Werkzeug." Mit einem Schlag ist die ganze Ausstellung weniger schaurig. Der Mann weist auf die Verarbeitung und auf eingravierte Initialen hin, die für einen Scharfrichter eher untypisch gewesen wären. Das etwa 500 Jahre Henker- oder Handwerkerbeil wird in der Auktion mit 1000 Euro aufgerufen. Für 3400 Euro findet es einen Abnehmer.

Das Dorotheum zählt mit seiner gut 300-jährigen Geschichte zu den ältesten Auktionshäusern der Welt, es versteigert in 40 Sparten. Vier Mal im Jahr veranstaltet es Auktionen mit historischen Waffen und Militaria. Karl Hellmer, 72, betreut dieses Segment seit 21 Jahren. Ungefähr 80 Prozent der angebotenen Stücke würden verkauft, sagt er, das sei eine sehr gute Quote.

Gauner trimmen Gegenstände auf alt, indem sie sie für ein paar Wochen im Garten eingraben

Hellmer selbst sammelt auch, Fachgebiet österreichische Monarchie - wie die meisten österreichischen Sammler. Von außen betrachtet ist die Abteilung "Historische Waffen" recht überschaubar. Je tiefer man geht, desto unübersichtlicher wird die Sparte, man sieht's ja allein an den diversen Degen und Säbeln und Pallaschen und Rapieren mit ihren ähnlich langen Klingen. Und am Henker- beziehungsweise Zimmermannsbeil. Hellmer sagt, in seinem Job werde man mit der Zeit "wie ein wandelndes Lexikon". Über Jahrzehnte hinweg ist er auf Sammlerbörsen gegangen und hat gelesen und sich in Museen fortgebildet, hat geschaut und verglichen, immer wieder geschaut und verglichen. Weil er sich auf dem Laufenden halten muss über Bestände und mögliche Auflösungen, tauscht er sich mit anderen Sammlern aus. Und trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Stücke durchrutschen, bei denen die Angaben der Verkäufer nicht ganz zutreffen. Wenn sich zum Beispiel ein Sammler sein Leben lang nur mit französischen Kavalleriedegen beschäftigt, könne er am Schliff Details identifizieren, die Blankwaffengeneralisten wie Hellmer womöglich übersehen.

Und dann gibt es ja auch noch Schurken, die gefälschte oder manipulierte Stücke in Umlauf bringen. In östlichen Nachbarländern hätten es sich Gauner zum Sport gemacht, Gegenstände auf alt zu trimmen, indem sie sie für ein paar Wochen im Garten eingraben. Jeder Sammler historischer Waffen, der nicht grundsätzlich argwöhnisch ist, wäre hochgradig naiv.

Eine Fußfessel im Katalog weckt offenbar Verdacht. Karl Hellmer hat sie als "Sandsteinkugel" von 19 Zentimetern Durchmesser "mit Schmiedeeisen beschlagen und mittels zweier verdrillter Kettenglieder mit dem Bügel der Fußfessel verbunden, Schloss mit Schlüssel, narbig, alte Patina" beschrieben. Entstehungszeit: "wohl 17. Jahrhundert". Der anonyme Verkäufer hätte auf mindestens 500 Euro spekuliert. Und in der Ausstellung ist kaum einer an ihr vorbeigegangen, der sich nicht zum einem Ehepartnerwitz darüber veranlasst sah. Doch in der Auktion bleibt die Fußfessel liegen. Das nächste Los, ein 7,8 Kilogramm schweres Kettenhemd, kommt hingegen für 5000 Euro unter den Hammer, 3000 mehr als angesetzt.

Der Bidenhänder ist bei den Sammlern out. Wer hat Platz für Zwei-Meter-Schwerter?

Warum kaufen Menschen alte Waffen und Rüstungsteile? Das ist leichter zu beantworten als: Warum sammeln Sammler? Degen und Säbel, auch ganze Ritterrüstungen gelten immer noch als repräsentativ. Bernhard Pacher ist Geschäftsführer des Münchner Auktionshauses Hermann Historica, das einen internationalen Ruf als Haus für historische Waffen genießt. Er kennt die Trends und ihre Ursachen.

"Heute wird vermehrt nach Äußerlichkeiten gesammelt und nach Seltenheit", sagt Pacher, "der akademische Sammler, der sich auf eine bestimmte Waffen- oder Uniformart und Provenienz festgelegt hat, der stirbt aus." Immer häufiger erlebe er den Rechtsanwalt als Kunden, der seine Kanzlei repräsentativ ausstatten will. Außerdem mache sich in der Altwaffenbranche die zunehmende allgemeine Raumnot bemerkbar. "Alles was Platz braucht, geht im Sammlerinteresse zurück." Die meisten Gegenstände aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit benötigen große Räume, um sie aufzustellen oder aufzuhängen. Doch wer baut die noch?

Der klassische Bidenhänder ist also out. Bidenhänder sind Schwerter mit einer Länge von bis zu zwei Metern. Man brauchte zwei Hände, um mit ihnen zu kämpfen, daher der Name. Für ein gutes Exemplar müsse man 7000 Euro berappen, sagt Pacher.

Im Dorotheum gibt es billigere Stücke. Es handelt sich um Repliken. Eine von ihnen, ein Dekostück mit geflammter Klinge und Hartholzgriff, gefällt einem älteren Herrn besonders gut. "Weißt was mir gefällt", fragt er seine Frau und zieht sie zur Bidenhänder-Vitrine, "der da. So günstig." - "Näään", sagt sie ihn gedehntestem Wienerisch. - "Fürs Wohnzimmer!" - "Nääään." - Er stellt sich das Schwert neben dem Esstisch vor. - "Nääään. Näään." - "Das ist ein Bidenhänder: zu zwei Händen." Sie hört es nicht mehr, weil sie schon vor dem Beil steht, mit dem entweder Dachbalken hergestellt oder Köpfe von Körpern getrennt wurden. Der Bidenhänder, für 90 angesetzt, findet für 240 Euro Käufer. Beim Esstisch? Geschmackssache.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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