Historienfilm:Auf dem Weg nach Mittelerde

Lesezeit: 3 min

Ein Fantasiereich entsteht - der junge Tolkien (Nicholas Hoult) im Schreibzimmer. (Foto: Fox)

Gefährten, britische Auen und Drachen aus Rauch: Die Filmbiografie "Tolkien" mit Nicholas Hoult.

Von Susan Vahabzadeh

Es gibt einen Moment in "Tolkien", der erahnen lässt, was eine Filmbiografie über den Autor des "Herrn der Ringe" hätte werden können. Da liegt John Ronald Reuel Tolkien (Nicholas Hoult) nach der Schlacht an der Somme 1916 verletzt im Matsch, und in der Dunkelheit um ihn herum formieren sich aus Rauchschwaden Drachen und mittelirdisch anmutende Kriegergestalten, als würde die Saga dort aus der blutgetränkten Erde geboren. Das ist nicht frei erfunden; tatsächlich hat J. R. R. Tolkien kurz nach der Schlacht das erste Mal eine Geschichte aufgeschrieben, die er in Mittelerde ansiedelte.

Dieser Augenblick der inspirierten Inszenierung, als die Vorläufer von Smaug aus dem Schlachtfeld erstehen, kommt sehr spät in "Tolkien", und er bleibt ein Fremdkörper in diesem Film - es ist nicht ganz klar, was der finnische Filmemacher Dome Karukoski eigentlich erzählen will. "Der Herr der Ringe" ist natürlich keine Übertragung des Ersten Weltkriegs in die Fantasie. Irgendwo zwischen den auenlandgleichen Hügeln von Tolkiens Kindheit und der verwunschenen Christ Church Meadow, auf die man vom Merton College in Oxford hinabblickt, wo Tolkien als Professor sein Arbeitszimmer hatte, ist Mittelerde aber dennoch entstanden - und dieser Weg wäre doch ein schönes Thema für einen Film. Dieser Film ist "Tolkien" allerdings definitiv schon mal nicht. Dazu irrt er viel zu ziellos durch alle Gassen, die der junge Tolkien je betreten hat.

Ist er Liebesgeschichte, Kriegsgeschichte, handelt er von Freundschaft über den Tod hinaus? Ein bisschen von allem, abwechselnd, oft wenig subtil präsentiert, aber nichts davon zählt wirklich. Hauptsache, es geht hier irgendwie um den jungen Tolkien. Es beginnt mit Tolkien als Kind, kurz nach dem Tod seines Vaters, als er mit der Mutter und seinem kleinen Bruder aus einer ländlichen Idylle ins durchindustrialisierte Birmingham zieht. Bald stirbt auch die Mutter, und die Jungen landen in der Obhut einer reichen Dame, die Father Francis (Colm Meany) aufgetan hat, der Vormund der Kinder.

An den Mann, der Tolkien gewesen sein könnte, lässt uns der Film gar nicht nah heran

John wird auf die vornehme St. Edwards School geschickt, wo er bald Gefährten findet, obwohl er gar keine gesucht hat. Der Rektor verordnet ihm jenen Jungen als ständigen Begleiter, der John am meisten hänselt - seinen Sohn. Und so bildet sich eine eingeschworene Gemeinde aus künstlerisch sehr begabten Jungen, die den einen Teil seines Lebens bestimmt, während er sich im anderen nur für das Mädchen interessiert, das die alte Dame auch noch aufgenommen hat: Edith (Lily Collins), die er später heiraten wird. Das versucht Father Francis ihm zu verbieten, denn Edith ist nicht katholisch.

Der junge Tolkien erfindet Sprachen, aber auch das streift Karukoski nur im Vorübergehen. Tolkien schafft es mit einem Stipendium nach Oxford, fliegt raus, und kommt wieder rein, nachdem er den Professor seiner Träume kennengelernt hat - den Philologen Joseph Wright (Derek Jacobi). Die beiden beginnen sofort zu diskutieren, aber viel bekommen wir als Zuschauer davon nicht mit, so nah lässt uns Karukoski an seinen Tolkien gar nicht heran. Das ist das eigentliche Problem: Selbst wenn der Film vom falschen Tolkien handelte, einem, den es gar nicht gegeben hat - er erwacht einfach nicht zum Leben.

Die Figuren bleiben bloße Behauptung; Lily Collins ist als Edith sehr süß, Nicholas Hoult ist auch irgendwie niedlich, aber besonders überzeugend sind die beiden nicht. Es stimmt dann auch vieles nicht. Die Film-Edith beispielsweise löst ihre Verlobung mit einem anderen erst, als das Schiff, das den jungen Soldaten Tolkien über den Kanal fahren wird, schon im Hafen liegt; als die echte Edith das tat, war vom Ersten Weltkrieg noch gar nicht die Rede. Das soll sicher der Dramatisierung dienen. Karukoski hat es nur irgendwie hinbekommen, Tolkiens Biografie zu verändern, die Tolkien-Erben zu verärgern, die "Herr der Ringe"-Enthusiasten nicht mit an Bord zu holen - und das alles, ohne die Geschichte einen Deut spannender zu machen, als sie wirklich gewesen sein kann.

Tolkien , USA 2019 - Regie: Dome Karukoski. Buch: David Gleeson, Stephen Beresford. Kamera: Lasse Frank. Mit: Nicholas Hoult, Lilly Collins, Colm Meany, Derek Jacoby. Fox, 111 Minuten.

© SZ vom 19.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: