Historie:Verbitterte, alte Männer

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Edith Raim zeichnet in ihrer Untersuchung ein schonungsloses Bild der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in den Jahren 1948 bis 1968

Von Sabine Reithmaier

Das Ziel des Freistaats war hochgesteckt, als er 1948 die Bayerische Akademie der Schönen Künste (BAdSK) gründete: "Oberste Pflegestelle der Kunst" sollte die Vereinigung sein, ein "Kern für das geistige München" werden. Wie die Herren - denn Frauen kamen kaum vor - ihre Aufgabe bewältigten, ist in einem eben erschienenen Buch nachzulesen. Einen "Bericht über eine Akademie" hat Historikerin Edith Raim ihre sachliche, akribisch recherchierte Untersuchung genannt, die die Einrichtung aus Anlass ihres 70-jährigen Bestehens in Auftrag gab. Es spricht für die Akademie, dass sie sich ihrer Frühgeschichte stellt. Denn das Bild, das Raim nach Sichtung aller Unterlagen für die ersten zwei Jahrzehnte zeichnet, ist alles andere als schön. Verständlich, dass Winfried Nerdinger im Vorwort auf die Beschreibung einer Mitgliedersitzung durch Wolfgang Koeppen im Jahr 1965 zurückgreift: "...der Eindruck ist der einer Versammlung alter und verbitterter Männer. In den Gesichtern Bosheit, Enttäuschung, Neid, Schuld, Eitelkeit, Todesfurcht, Scheitern, zu dem sie sich nicht bekennen."

Ihren hehren Anspruch, moralische Autoritäten zu sein, konnten sie jedenfalls nicht einlösen. Der Kunstbegriff der geistigen Elite war eng, die Verstrickung der Mitglieder in den Nationalsozialismus lange kein Thema. Im Gegensatz zu heute zählte die Institution, die damals im Prinz-Carl-Palais residierte, nur drei Sektionen: Die Abteilungen I (Bildende Kunst) und II (Schrifttum) durften je 30, die Sektion III (Musik) 15 ordentliche Mitglieder haben. Dazu kamen außerordentliche und korrespondierende Mitglieder. Viele waren älter als 70, keines jünger als 50 Jahre. Das Thema Überalterung war Dauerbrenner in den Sitzungen, die Enttäuschung über das Schaffen jüngerer Künstler aber auch.

Gekränkte Eitelkeiten ziehen sich wie ein roter Faden durch die Frühgeschichte. So beschwert sich Komponist Hans Pfitzner 1948, dass bei der 100-Jahr-Feier der Musikakademie München "der größte deutsche Name unter den Lehrkräften dieser Anstalt, nämlich der meinige, von den Amerikanern aus dem Programm einfach gestrichen wurde". Das Ministerium habe es nicht für notwendig erachtet, nachzufragen, "was sie sich dabei dächten, ...den einzigen Namen, der auch in Amerika bekannt ist, zu unterschlagen." Tatsächlich wurden Empfehlungen und Stellungnahmen der BAdSK oft ignoriert. Oft stritten die Mitglieder untereinander solange, bis sich ein Thema von selbst erledigt hatte. Gelegentlich ging es nur um Begriffe. So empfand Mechthilde Lichnowsky, als Autorin die Kriegsjahre unter Hausarrest gestellt, die Bezeichnung "Schrifttum" als durch die Nazis kontaminiert, was zornigen Widerspruch erntete, vor allem durch den Lyriker Rudolf Alexander Schröder. Der Generalsekretär der Akademie, Clemens Graf Podewils, freute sich über die "vernichtende Abfuhr", weil Lichnowsky "bei aller Begabung doch ebenso oberflächlich wie willkürlich und dazu hochfahrend" sei. Eine Umbenennung zu Literatur erfolgte erst 1968, als Horst Bienek den Begriff erneut kritisierte.

Frauen hatten es schwer in der Akademie. In die Bildende Kunst zog als erste Frau 1951 die Malerin Maria Caspar-Filser ein. Bis zu ihrem Tod 1968 blieb sie das einzige weibliche Mitglied der Sektion. Gabriele Münter gratulierte man zwar 1957 zum 80. Geburtstag, aber ansonsten wurde nie auch nur darüber nachgedacht, ob man sie aufnehmen solle. Nun ja, sie besaß keinen akademischen Lebenslauf - zum Studieren wurden in Münters jüngeren Jahren Frauen nicht zugelassen. Besonders patriotisch hatte sie sich während des Ersten Weltkriegs auch nicht gebärdet und Netzwerken war nicht ihre Stärke. All das half sehr, um in die Akademie zu gelangen, wie Raim mit vielen Beispielen belegt.

Die Abteilung der Literaten, die zwischen 1948 und 1968 sieben Frauen als ordentliche Mitglieder zählte, bevorzugte adlige Damen wie Gertrud von Le Fort, Mechthilde Lichnowsky und Marie-Luise Kaschnitz. Oder Frauen, deren Ehemänner bereits Mitglied waren, wie es bei Günter Eich und Ilse Aichinger der Fall war. Erstaunlich, dass Marieluise Fleißer es 1957 anscheinend nur aufgrund ihrer Fähigkeiten schaffte. Manchmal brauchte die Sektion extrem lang, um sich darüber klar zu werden, was sie wollte: Von 1958 an gab es Überlegungen, Ingeborg Bachmann eine korrespondierende Mitgliedschaft anzutragen und sie zu einer Lesung einzuladen. Bachmann konnte die Entscheidung nicht abwarten, sie starb 1973.

Tod war überhaupt nicht die schlechteste Lösung: Die Sektion Musik genoss den Vorteil, dass ihre nationalsozialistisch am stärksten belasteten Mitglieder bald starben: Hans Pfitzner und Richard Strauss 1949, Wilhelm Furtwängler 1954, die wichtigsten Musiker des Dritten Reichs nach Hitlers Sonderliste. Weitere "Gottbegnadete" waren Werner Egk, Carl Orff und die Dirigenten Robert Heger und Eugen Jochum. Immerhin bemühte sich die Sektion um emigrierte Kollegen, holte Paul Hindemith. Die Literaten taten nichts dergleichen. Weder Oskar Maria Graf noch Lion Feuchtwanger wurden jemals als Mitglieder in Erwägung gezogen. Als letzterer 1957 den Literaturpreis der Stadt erhielt, klagte die Akademie, die Jury habe "unter politischen Gesichtspunkten" entschieden, Feuchtwanger habe keine "ausgesprochen dichterische Leistung" vorzuweisen.

Insgesamt hatten 88 Schriftsteller 1933 das "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" auf Hitler abgelegt. Nicht wenige davon waren später Mitglieder der Akademie oder erhielten Preise von ihr. Um die NS-Belastung zu analysieren, teilt Raim die Künstler in drei Kategorien. "Unbelastet" sind die Emigranten, die Deutschland verließen wie Leonhard Frank, Annette Kolb oder die Maler Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Hans Purrmann, Josef Scharl. Als "nicht belastet" stuft Raim auch jene ein, die keine Möglichkeit besaßen, in Deutschland künstlerisch zu wirken, entweder weil sie mit Berufsverbot belegt oder als entartet gebrandmarkt waren. Dazu zählen die Maler Carl Caspar, Maria Caspar-Filser, der Bildhauer Gerhard Marcks, die Architekten Adolf Abel und Carl Sattler, die Schriftsteller Werner Bergengruen, Wilhelm Hausenstein (der erste Präsident) und Reinhold Schneider.

Eine dritte Gruppe bildet Raim aus den Mitläufern, Opportunisten und Profiteuren, die der NS-Ideologie zeitweise erlagen oder bis zum Ende unkritisch gegenüberstanden, Künstler, die Ehrungen und Preise annahmen oder Huldigungsadressen an Hitler richteten. Darunter fallen die Schriftsteller Gottfried Benn, Georg Britting, Hans Carossa und Ina Seidel, Rudolf Esterer, späterer Präsident der Schlösser- und Seenverwaltung, der Zeichner Olaf Gulbransson, aber auch Emil Preetorius, zweiter Akademiepräsident und einer von Hitlers Lieblingsbühnenbildnern. Die Fälle des Malers Hermann Kaspar, des Autors Hans Egon Holthusen und von Paul Alverdes, Herausgeber der Zeitschrift Das Innere Reich, arbeitet Raim in eigenen fundierten Kapiteln auf.

Kein Ruhmesblatt für die Akademie ist der Umgang mit Nobelpreisträger Thomas Mann. So schlug die Abteilung Musik vor, ihn zu einem Vortrag zu Pfitzners 80. Geburtstag einzuladen. Ausgerechnet Pfitzner, bekennender Antisemit, der 1933 den "Protest der Richard-Wagner-Stadt München" gegen Mann unterschrieben hatte. Die Literaturabteilung hatte wiederum wenig Lust, Mann zu ihrem Ehrenvorsitzenden zu wählen. Er wurde zwar gewählt, aber als das Mitgliederverzeichnis gedruckt werden sollte, entschied das Direktorium, ein derartiger Rang sei nicht vorgesehen und setzte Mann mit der Ergänzung "ehrenhalber" ans Ende der Liste.

Der zweite Nobelpreisträger Hermann Hesse lehnte aus politschen Gründen eine Mitgliedschaft ab. Diskussionen über eine Mitgliedschaft Brechts ("er ist, glaube ich, Kommunist", Eckart Peterich) versandeten schnell. Noch schwerer tat man sich mit jüdischen Intellektuellen. Erhart Kästner, ehemaliges NSDAP-Mitglied, entblödete sich 1972 nicht - als es um die Vergabe des Literaturpreises der BAdSK ging - Jean Amery zu beleidigen: "Es liegt doch auf der Hand, wer der Mann ist: ein philosophisches Tinterl." Als der Widerstandskämpfer und KZ-Überlebende den Preis erhielt, fand Kästner das "katastrophal".

Amery erhielt den Preis aus der Hand des dritten Präsidenten, Hans Egon Holthusen, der seine SS-Mitgliedschaft 1966 verharmlosend dargestellt hatte. An der Westberliner Akademie hatte Dichterin Mascha Kaléko 1959 den Fontane-Preis abgelehnt, da ihn Holthusen überreicht hätte; Paul Celan weigerte sich 1962 seinetwegen, dort Mitglied zu werden. Raim attestiert jedenfalls der bayerischen Literaturklasse unter allen Akademien die "größte Unverfrorenheit", wenn es um die Rehabilitierung wichtiger Akteure des NS-Literaturbetriebs ging. Die künstlerischen Leistungen der Exilautoren übertrafen die der Daheimgebliebenen weit. Vermutlich wollte man sie auch deshalb nicht da haben.

Edith Raim: Ein Bericht über eine Akademie. Für 8 Euro Schutzgebühr in der Akademie erhältlich

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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