Hip-Hop:Neuer Beat, neues Glück

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Zwischen den Auftritten der bekannten Rapper aus der Szene finden immer auch Freestyle-Aktionen statt, bei denen sich jeder einbringen kann. (Foto: Catherina Hess)

Die Münchner Szene trifft sich jeden ersten Dienstag im Monat zu einer Freestyle-Rap-Session in der Glockenbachwerkstatt

Von Vanessa Kanz

Rap ist mehr als Gefängnisgeschichten. "Man muss das selbst mal ausprobiert haben, um zu wissen, wie schwer das wirklich ist", schreit ein Zuschauer seinem Freund ins Ohr. Er spricht speziell vom Freestyle-Rap, der Königsdisziplin des Hip-Hop. Zum zehnten Geburtstag der Open Mic-Rap Session in der Glockenbachwerkstatt stehen Künstler der Szene gemeinsam auf der Bühne und jonglieren mit Wörtern, spielen sich diese wie Bälle zu, improvisieren. Auch Schu, ehemaliges Blumentopf-Mitglied war von Beginn an bei den Sessions dabei, früher wöchentlich, dann nur noch sporadisch. Zum Jubiläum steht er wieder auf der Bühne und eröffnet die Session: "Ich fang an, wenn der DJ bereit ist, wenn er heiß auf den Scheiß ist." Und ob er das ist. Beat und Bass setzen ein, sodass es im Brustkorb vibriert. Je nach Belieben scratcht der DJ die Samples und Sounds. Neben Schu gesellen sich die anderen Künstler auf die Bühne, kommen in den Flow und geben, einer nach dem anderen, ihren Rap-Senf dazu. Keno von Moop Mama ist mit dabei, Grasime und D-Fekt von der Weltuntergäng, Alpha 17, Brian Damage und Manekin Peace, der dem Abend durch seinen englischsprachigen Rap zeitweise ein amerikanisches Gangster-Flair verleiht. Nach Schu, der eigentlich Florian Schuster heißt, übernimmt Grasime das Rap-Zepter und versucht sich zugleich in einem - Achtung, Jugendsprache - Diss gegen Keno. "Was ist das für eine Brille, die du trägst? Ist die echt oder nur fürs Hipster-Image", schleudert er dem Moop-Mama-Künstler in Pöbel-Manier entgegen.

Dass man sich auf einer Hip-Hop-Veranstaltung in München und nicht in Hamburg oder Stuttgart befindet, macht das bairische "Oida" für "Alter" oder "Kumpel" in den Zeilen deutlich. Das hamburgische "Digga" wird gemieden. Ein sprachliches, distinktives Merkmal der Münchner Rapper. Gibt es denn weitere Unterschiede zu den anderen Hip-Hop-Hochburgen Deutschlands? "Nicht wirklich", sagt Schu, der sich nach seinem Auftritt in der Küche der Glockenbachwerkstatt gegen den Tresen lehnt. "Ach doch, warte, eine Sache fällt mir ein." Dieses Pathos, das Kool Savas beispielsweise in "Märtyrer" vertritt, sei im Münchner Rap nicht vorhanden. Das Azad'sche "Wir sind so harte Männer" fehle. Pathos habe allerdings nichts mit Gangster-Attitüde zu tun. Gangster sei in Ordnung, Pathos verkrafte er nicht. "Das ist zwar auch alles cool, aber hier würde es niemand abnehmen, München steht für etwas anderes", sagt Schu. Und zwar für Schickimicki, reiche Leute, viel Polizei, CSU und saubere Bürgersteige, von denen man essen könne. "In unseren Rap-Texten geht es natürlich auch darum, die andere Seite zu zeigen, die es ja auch gibt", sagt er.

Aber selbst den Münchner Hip-Hop kann man nicht in eine Schublade stecken, nicht kategorisieren. Während die Texte von D-Fekt sarkastisch und voller Ironie sind, klingen Sound und Botschaft bei Alpha 17 düsterer. "Du hast viele Probleme, aber das größte bist du selber", rappt er über seine Ex-Freundin mit Borderline-Syndrom. "Schubladen und Kategorien werden immer nur von außen aufgedrückt", sagt auch Keno von Moop Mama.

Die Rap- und Freestyle-Szene ist in München vielseitig und gleichzeitig fest und lange verwurzelt. Blumentopf zählte von Beginn an dazu, genauso wie Main Concept mit David P und nun auch Fatoni von Creme Fresh. "Wir haben schon immer so einen Freestyle gepflegt, der davon lebt, dass man sich mit Leuten trifft und sich lustige Reime an den Kopf schmeißt", sagt der ehemalige Topf-Rapper.

Keno? Berliner Hip-Hopper würden ihn abschätzig als Öko-Rapper betiteln

Und so treffen sich auch heute viele bekannte Gesichter in der Glockenbachwerkstatt wieder. Der Raum mit der Bühne ist klein, der Abstand zwischen Künstler und Publikum minimal, weshalb sich auch vereinzelt Mutige aus dem Publikum und Neuankömmlinge vor die roten Samtvorhänge, mit dem Gesicht zur Masse, trauen. Eine blonde Frau macht sich in gerappter Form über die Männer lustig, die sich wiederum vorher vulgär über das weibliche Geschlecht geäußert haben. Nach ihrem Diffamierungsschwall, einem "Ihr wisst ja wie das gemeint ist" und einem einnehmenden Lächeln geht sie von der Bühne und lässt die schmunzelnden Rapper zurück. Tja, Hip-Hop ist nicht nur testosterongeladen.

Zur Hip-Hop-Kultur gehört ebenso das Beatboxing. Klar, dass das bei einer Open-Mic-Session nicht fehlen darf. Der Münchner Beatmaker und -boxer Trash führt eine solche Mundakrobatik auf, dass man kaum glauben kann, dass dem Sound kein maschineller Beat unterlegt wurde. Er lässt es zischen, ploppen, knarren. Dann kommt Keno von Moop Mama mit zwei eigenen Songs. Berliner Hip-Hopper würden ihn vermutlich abschätzig als Studenten- und Öko-Rapper betiteln, da es sich eher um braven, intellektuellen Rap handelt. Das scheint Keno egal zu sein, er zieht sein Ding durch. Und in "Kreislauf" geht es auch genau darum: um Nachhaltigkeit und Bio-Essen. Schließlich existiert keine Generalvorgabe, was Hip-Hop thematisieren kann und darf.

Jeder Freestyle ist einmalig, weil die Texte frei improvisiert und nicht aufgeschrieben werden. Die Künstler gehen in ihrer Performance auf. Dennoch läuft es mal gut und mal weniger gut. Wie auch an diesem Abend. Patzer und sinnlose Reime werden weggelacht. Passiert halt. Neuer Beat, neues Glück. "Die größte Herausforderung ist dabei, den Kopf ganz auszuschalten", sagt Schu, "wenn man nicht nachdenkt, sondern einfach rappt, dann ist das immer interessanter, immer besser, weil auch grandioses Scheitern lustig sein kann."

Der erprobte Freestyler sieht in der Münchner Rap-Szene einiges Potenzial, auch an diesem Abend. Was noch alles kommt, das stehe allerdings in den Sternen. Die Glockenbachwerkstatt ist jedenfalls seit jeher die richtige Anlaufstelle: Sowohl für stille Zuhörer, als auch für solche, die selbst gerne Worte und Reime aneinanderkleben und ins Mikrofon rappen.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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